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Kultur: Das Gesicht des Unrechts

Die Berliner Topographie des Terrors dokumentiert die Geschichte von Hitlers „Volksgerichtshof“

In seinem posthum erschienenen Erinnerungsbuch „Geschichte eines Deutschen“ beschreibt Sebastian Haffner, wie Hitlers Machtergreifung im Frühjahr 1933 auch in die geschlossene Welt des Berliner Kammergerichts einbrach. Doch die konservativ gesetzestreue Justiz blieb für die Nazis weiter ein Risiko. Das Leipziger Reichsgericht etwa verurteilte zwar Marinus van der Lubbe zum Tode, sprach jedoch seine Mitangeklagten im Reichstagsbrandprozess, darunter den bulgarischen Kommunistenführer Georgi Dimitrow, aus Beweismangel frei: ein formal mehr oder weniger korrektes Verfahren.

Hitler befahl schäumend die Einrichtung eines neuen, obersten und parteiischen Gerichts in Berlin. Die räumliche Nähe zur Gestapo-Zentrale an der Prinz-Albrecht-Straße war dabei durchaus programmatisch gemeint: Der „Volksgerichtshof“ trat heute vor 70 Jahren, am 14. Juli 1934, zu seiner konstituierenden Sitzung im verwaisten Preußischen Landtag zusammen. Ein Foto zeigt neben Juristen in Zivil bereits etliche NS-Uniformen. Zu einem besonders berüchtigten Kapitel der Rechtsbeugung geriet zehn Jahre später der Prozess gegen die Widerstandskämpfer vom 20. Juli 1944. Die Stiftung Topographie des Terrors widmet diesen beiden traurigen Jubiläen nun eine Ausstellung: als Freiluftinstallation auf dem Bauzaun ihres vor wenigen Wochen gestoppten Neubaus.

Vom „Volksgerichtshof“ in Erinnerung geblieben ist vor allem die Stimme seines letzten Präsidenten: ein schneidend hoher Diskant. Roland Freisler, der sich Hitler zur Amtseinführung im Oktober 1942 als „politischer Soldat“ anbiederte, wurde zum Sprachrohr einer Justiz, die diesen Namen schon lange nicht mehr verdiente. Freislers schmierentheatralische Ausbrüche im Schauprozess gegen die Hitler-Attentäter wurde mit seinem Wissen heimlich gefilmt. Doch selbst den Nazis war das so entstandene Material nicht ganz geheuer: Der daraus geschnittene Propagandafilm wurde nie öffentlich gezeigt.

Umso bedauerlicher, dass seine erhaltenen Sequenzen – auch wenn einigermaßen bekannt – in der Ausstellung nicht gezeigt werden können. Wo auch? Die bereits am ersten Tag rege vom Publikum frequentierten Bildtafeln stehen paradigmatisch für die Situation der Topographie-Stiftung und ihres Ausstellungsbetriebs: In ihnen steckt solideste wissenschaftliche Recherche und viel didaktische Intelligenz, sie erreichen – aufs Jahr hochgerechnet – weit über 300000 Besucher. Doch ein Gutteil des schmalen Ausstellungsetats geht für Wetterschutz drauf. Falls es gelingt, die Schau noch an weiteren Stationen zu zeigen, müsste sie noch einmal angefertigt werden.

Dafür entschädigt die Kuratorin Claudia Steur mit einer auf rund hundert laufenden Metern komprimierten historischen Erzählung, die neben der Struktur auch dem handelnden Personal – Tätern wie Opfern – ein Gesicht gibt. Nüchtern rekapituliert sie das sich stetig verschärfende gesellschaftliche Klima jener Zeit. Und die, indem sie auf juristische Beißhemmungen bei der Strafverfolgung von ehemaligen Nazijuristen in Ost- und Westdeutschland hinweist, klar macht, was für ein verletzbares Gut das ist: die Rechtssicherheit, in der wir leben. Eigentlich ein Pflichtthema, nicht nur für angehende Juristen.

Topographie des Terrors, Niederkirchnerstaße 8 (am Bauzaun), bis 30. September täglich 10-20 Uhr. Eintritt frei.

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