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Tom Erik Lie (li.) als Gespenst und Carsten Sabrowski als Dr. König.

© dpa

„Das Gespenst von Canterville“: Erlösung für Sir Simon

Kinderproduktion auf der großen Bühne: Die Oscar-Wilde-Vertonung „Das Gespenst von Canterville“ in der Komischen Oper.

Wunderbar witzig ist in diesem Jahr die Saisonvorschau der Komischen Oper bebildert: Für jedes Stück, das neu herauskommt, wurde ein Foto an der passenden Berliner U-Bahn-Station gemacht. „Don Giovanni“ wartet also an der Jungfernheide auf seine Premiere, Händels „Giulio Cesare“ am Kaiserdamm, Offenbachs „Belle Hélène“ räkelt sich an der Schönleinstraße – und das Bild zur Kinderoper „Das Gespenst von Canterville“ entstand natürlich an der Schloßstraße.

Denn in einem historischen Adelssitz spielt Oscar Wildes Erzählung, die der Berliner Komponist Marius Felix Lange 2013 im Auftrag des Zürcher Opernhauses vertont hat. In der Schweizer Metropole ist derzeit Andreas Homoki Musiktheaterintendant, Barrie Koskys Vorgänger an der Komischen Oper. Und so wundert es kaum, wenn die deutsche Erstaufführung der Produktion nun an der Behrenstraße herauskommt. Nicht als Education-Randprogramm in einer Nebenspielstätte, sondern auf der großen Bühne.

Über 1000 Kinder mit ihren Eltern füllen also bei der Premiere am Sonntag das Rokoko-Rund des Saales – und erleben einen markerschütternden Stückstart: Zu Horrorfilmklängen aus dem Orchestergraben hebt sich der Vorhang, ein mittelalterlicher Rittersaal wird sichtbar (Bühne: Paul Zoller), trübes Licht fällt schräg durch blutrote Vorhänge, im Kamin lodert ein Feuer. Aus dessen Flammen springt plötzlich der bleichgesichtige Geist mit Zottelhaaren hervor, erweckt eine menschengroße Riesenratte zum Leben, lässt die Ritterrüstungen tanzen, entzündet mit lautem Knall die Fackeln an den Wänden, die von abgeschlagenen Armen gehalten werden.

Ist das wirklich eine Optik, für die man die Altersempfehlung „ab sechs Jahren“ aussprechen sollte? Später wird es eine filmrealistische Mordszene auf offener Bühne geben, eine der Choristinnen läuft mit einem Beil im Kopf herum (Kostüme: Gideon Davey). Viertklässler finden das „aggro“, aber Erstklässler?

Die aufkeimende Liebe zwischen Virginia, der pubertierenden Tochter des neuen Schlossbesitzers Dr. König, und David, dem fast volljährigen Sohn der Haushälterin (Johannes Dunz), dürfte bei jüngeren Grundschüler kaum für romantische Identifikationsmomente sorgen (igitt, eine Kuss-Szene!), ebenso wenig wie die erotischen Techtelmechtel zwischen Virginias Vater und seiner neuen Freundin, die Regisseurin Jasmina Hadžiahmetović im Stil überdrehter Privatfernseh-Komödien inszeniert.

Die Auflösung der Story schließlich, für die es des Gebetes eines unschuldigen Kindes bedarf, damit das Gespenst von seinem Fluch erlöst wird und sterben kann, ist schon für Erwachsene schwer nachvollziehbar. Dass der von Tom Erik Lie auf die feine englische Art gespielte Geist den Namen Sir Simon trägt, finden zumindest die klassikaffinen Besucher im Saal witzig.

Halbherzig ist die Modernisierung der Wilde-Originals durch den Librettisten Michael Frowin ausgefallen, und auch der Komponist wählt einen merkwürdig unentschiedenen Mittelweg: Da klingelt das Handy des aus der deutschen Hauptstadt nach Schottland gereisten Immobilienentwicklers Dr. König (Carsten Sabrowski) aus dem Orchestergraben mit der Melodie von Paul Linckes „Berliner Luft“, da äußern sich Virginias kleine Zwillingsbrüder ziemlich cool nur im doppelten Sprechgesang (Fabian Guggisberg und Stephan Witzlinger). Die übrigen Personen jedoch singen so, wie Menschen, die nichts mit Oper zu tun haben, sich modernen Operngesang vorstellen. Und weil alle Darsteller elektronisch verstärkt verstärkt werden, weil die über der Bühne hängende Lautsprechertraube zudem brutal laut eingestellt ist, wirken vor allem die Frauen karikaturenhaft.

Alma Sadé spielt die Sympathieträgerin Virginia als sensibles Mädchen, doch ihre höhensichere Stimme klingt durch die übersteuerte Technik genauso schrill wie die ihrer Gegenspielerin und Stiefmutter in spe, die Adela Zaharia mit ebenfalls sehr beweglichem Sopran als wüste Knallcharge anlegt. Solche Phonstärken werden sonst nur bei Richard Strauss’ „Elektra“ erreicht.

Wenn Marius Felix Lange den jungen Zuhörern auch eingängige Melodien verweigert, so bewegt er sich doch weitgehend auf tonalem Terrain, nutzt Dissonanzen vor allem als akustisches Würzmittel für atmosphärische Stimmungsbilder. Komplexe, handwerklich sauber gearbeitete Programmmusik entsteht so, die von der Dirigentin Kristiina Poska souverän umgesetzt wird.

Wieder am 9., 13., 16. und 28. November sowie 4., 7. und 26. Dezember.

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