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Blauer Himmel, graues Meer. Brighton ist das beliebteste englische Seebad.

© Stefan Wermuth / Reuters

Roman: "Von Liebe und Hunger": Das Glück muss sich mal drehen

Wiederentdeckt: Der britische Klassiker „Von Liebe und Hunger“ erzählt vom Sommer vor dem Krieg.

Potenzielle Kundinnen mit ihrem Namen anreden. Höflich auftreten, aber nicht devot. Und die Unterhaltung immer wieder auf den Schmutz bringen. Richard Fanshawe steht im Wohnzimmer von Miss Tuke und saugt mit dem Staubsauger, den er ihr verkaufen will, einen Teppich.

Die alte Dame traut ihren Augen nicht, als sie sieht, was er aus dem Teppich herausholt. „Das begreife ich nicht. Ich habe den Teppich erst säubern lassen“, seufzt sie. „Dieser Schmutz sitzt schon seit Jahren in Ihrem Teppich“, entgegnet der Staubsaugervertreter. „Die gewöhnlichen Reinigungsmethoden beseitigen ihn nicht.“ Miss Tuke ist kurz davor, ein Bestellformular zu unterschreiben. Doch dann reißt der Riemen, ein klopfendes Geräusch dringt aus dem Sauger, der Dreck bleibt liegen. Kein Abschluss, keine Provision.

Der Held von Julian Maclaren-Ross’ Roman „Von Liebe und Hunger“ ist eine Sisyphosfigur. Fanshawe, 27, hat fünf Jahre in Indien gelebt und träumt davon, Schriftsteller zu werden. Aber jetzt ist er mit ein paar Kollegen in den Vororten von Brighton unterwegs und versucht, schlecht gelaunten Hausfrauen Staubsauger zu verkaufen. Meist vergeblich. Jeden Morgen bricht er auf, um in sogenannten „Demos“ seinen Staubsauger vorzuführen, jeden Abend kehrt er frustriert in die billige Pension zurück, in der er abgestiegen ist. Mehr als zwei, drei Geräte wird er den ganzen Sommer über nicht verkaufen. Die Plakate, die im Lager seiner Firma hängen, sind purer Hohn: „Klotzen Sie ran!“, „Nie vergessen: Immer lächeln“, „Von dir hängt es ab.“

Schlimmer kann es nicht mehr kommen

Das Buch, das im Original 1947 herauskam und jetzt erstmals in deutscher Übersetzung erscheint, ist ein vergessener Klassiker der englischen Literatur. Es spielt 1939, unmittelbar vor Beginn des Zweiten Weltkriegs. Das Land steckt tief in der Rezession, Jobs sind rar, und viele Männer, die vor Kurzem noch in Büros oder Fabriken arbeiteten, klingeln nun als Vertreter an Haustüren. Viele wissen nicht, was schlimmer ist: die Krise oder der Krieg. Ob er glaube, dass ein Krieg kommt, wird Fanshawe gefragt. „Natürlich“, antwortet er. „Warum denn nicht, schlimmer kann’s doch eigentlich nicht kommen.“ Später, wieder einmal ist ein Geschäft geplatzt, sagt ein Kollege: „Das Glück muss sich mal drehen. Und wenn’s nur der Krieg ist.“

Fanshawe, ein Fatalist, ist davon überzeugt, dass sein Leben immer wieder die schlimmstmögliche Wendung nehmen wird. Anders als in Graham Greenes mehrfach verfilmtem Roman „Brighton Rock“ ist der südenglische Badeort hier kein glitzerndes Sündenbabel, in dem die Amüsierbetriebe vom organisierten Verbrechen beherrscht werden. Sondern bloß ein trostloses Provinzkaff. Seit Fanshawes Onkel kein Geld mehr schickt und süffisant darauf hinweist, dass der Neffe „endlich eine Stellung“ habe, muss er sich allein durchschlagen.

Der Zynismus der amerikanischen Hard-boiled-Thriller

Die Träume des Vertreters reichen nicht über den Feierabend hinaus. So lange das Geld für Zigaretten und gelegentliche Pub-Besuche reicht, geht es ihm gut. Der Vorteil seines Jobs ist, dass er problemlos Frauen kennenlernt. Von der Inhaberin eines Blumenladens ist er sofort beeindruckt: „Große Blondine. Gelbe Chrysanthemen, die zu ihrem Haar passten. Pullover schön gewölbt.“ Ihre Affäre beginnt nach einem Abend im Tanzlokal in ihrem Auto: „Riesiger Himmel, nachtblau, mit Sternen. Allerdings kein Mond. Wir brauchten keinen Mond.“

Fanshawe verliebt sich dann aber in eine andere Frau, in Sukie, die Verlobte eines ehemaligen Kollegen, der für drei Monate zu See fährt. Bei der ersten Begegnung, erzählt sie später, habe sie gedacht, er „würde sicher Selbstmord begehen, irgendwann“. Worauf er entgegnet: „Manchmal ist mir auch so.“ Sie treffen sich in Cafés, besuchen das Kino, gehen in den Zoo, fahren raus aufs Land. Und irgendwann, es ist Nacht, sie stehen an der Straße und er hat ihr gerade eine Zigarette gegeben, fragt sie: „Was wissen Sie von mir?“ Er entgegnet: „Ich weiß nur, dass ich dich liebe.“ Und sie sagt: „Und, willst du dann nichts unternehmen?“

Die Lakonie und der Witz von „Von Liebe und Hunger“ erinnern an den proletarischen Realismus eines Alan Sillitoe. Julian Maclaren-Ross orientiert sich am Zynismus amerikanischer Hard-boiled-Thriller. Fanshawe liest den Krimi „Wenn der Postmann zweimal klingelt“ von James M. Cain, und bei seinen Versuchen, einen Roman zu schreiben, folgt er dessen abgebrühtem Tonfall.

Ein Roman, der das Leben und die Leidenschaft feiert

Auch bei Cain geht es um eine Dreiecksbeziehung, sie endet mit dem Mord am Ehemann. Allerdings wirkt Sukie viel zu brav, um eine fatale Frau zu sein, und Fanshawe, der ewige Verlierer, taugt nicht zum Killer. Die Liaison verläppert. Sukie hört auf, sich mit Fanshawe zu treffen, und beantwortet seine Briefe nicht mehr. „Es hatte mich schlimm erwischt“, wehklagt er. „Unheilbarer Fall. Hoffnungslos.“ Und dann bricht der Krieg aus, der sowieso alles verändern wird.

„Von Liebe und Hunger“ ist ein autobiografisches Buch. Julian Maclaren-Ross hatte 1938 in der Nähe von Brighton als Staubsaugervertreter gearbeitet und sich mit dem Schriftstellerkollegen C. K. Jaeger und seiner Frau Lydia angefreundet. Zum Ehebruch, darauf weist der Biograf Paul Willetts im Nachwort hin, kam es allerdings nicht. Maclaren-Ross, der 1912 in London geboren wurde und 1964 starb, stilisierte sich zum Dandy. Fotos zeigen ihn mit Zigarettenspitze, Gehstock und Kamelhaarmantel. Sein Image, so Willetts, „vereinte das Bild von Oscar Wilde und dem eines Schurken aus einem amerikanischen Gangsterfilm“. „Von Liebe und Hunger“, Maclaren-Ross’ bester Roman, feiert das Leben und die Leidenschaft.

Julian Maclaren-Ross: Von Liebe und Hunger. Roman. Aus dem Englischen von Joachim Kalka. Arco Verlag, Wuppertal 2016. 327 Seiten, 24 €.

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