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Kultur: Das goldene Zeitalter

Duell im Dunkel: Eine Leipziger Ausstellung über Spionage im geteilten Deutschland

Als Hans Joachim Tiedge am Montag nicht zur Arbeit erschien, wunderte sich niemand. Er wird wieder einmal zu viel gesoffen haben, dachten die Kollegen. Doch am Freitag um 10 Uhr 25 wurde zur Gewissheit, wovor sich Tiedges Arbeitgeber so sehr gefürchtet hatten: Die Ostdeutsche Nachrichtenagentur ADN gab an jenem 23. August 1985 bekannt, dass Hans Joachim Tiedge, der Referatsleiter für die Spionageabwehr der DDR-Geheimdienste beim Bundesamt für Verfassungsschutz, in die Deutsche Demokratische Republik übergelaufen war.

Tiedge, der heute in einer Moskauer Vierzimmerwohnung lebt, kann sich inzwischen einen weiteren Orden an seine versoffene Brust hängen: Er war der letzte große Spionagefall einer an spektakulären Spionagefällen nicht armen Epoche. Mit dem Ende der Zweiteilung Deutschlands endete schließlich das goldene Zeitalter der Spionage.

In der Ausstellung „Duell im Dunkel“ lässt das Zeitgeschichtliche Forum Leipzig diese faszinierende Epoche noch einmal Revue passieren, nicht als Kulturgeschichte, oder, wie es der Titel verspricht, als Abrechnung, sondern phänomenologisch, als Kette dramatischer und bisweilen auch abstoßender Einzelfälle. Noch einmal wird all die großen Fälle erinnert, an den Spionage-Tunnel der Briten und Amerikaner in Berlin-Rudow, den George Blake an die Russen verriet („Operation Gold“), an Francis Powers, den über der Sowjetunion abgestürzten Spionagepiloten, an den westdeutschen Verfassungsschützer Otto John, der für kurze Zeit in die DDR verschwand, an Ursel Lorenzen, die Nato-Spionin, an Werner Stiller, der, im Westen angekommen, den geheimnisvollen Geheimdienstchef Markus Wolf zum ersten Mal identifizieren konnte.

Vermutlich stellt sich die Frage nach dem Sieger des Duells in Wahrheit nicht: Auch wenn Otto John keinen Geheimnisverrat begangen hat, allein die Namen Hesse, Guillaume, Tiedge, Kurau oder auch des Nato-Spions Rainer Rupp lassen keinen Zweifel an der Reihenfolge des Zieleinlaufs. Doch gerade angesichts des Endes der DDR stellt sich die Frage nach der historischen Wirksamkeit von Spionage ganz neu.

Günter Guillaumes Führungsoffiziere haben immer wieder behauptet, dass ihnen der Erfolg aus dem Ruder gelaufen sei: Der Sturz Brandts sei nicht in ihrem Interesse gewesen. Und auch Verfassungsschützer Heribert Hellenbroich, der über Tiedge stürzte, macht deutlich, dass eine Nutzenrechnung dieses Duells kaum zu erstellen ist. Wir wussten, sagt Hellenbroich, dass Tiedge ein Alkoholproblem und seit dem Tod seiner Frau Depressionen hatte. Rausschmeißen konnten sie ihn dennoch nicht – Tiedge wusste einfach zuviel. Wie sinnvoll die Arbeit der Westspione nach dem „Kladderadatsch“ (Hellenbroich), den Tiedges Flucht ausgelöst hat, überhaupt noch sein konnte, bleibt angesichts eines inhaltlich bislang nicht wirklich aufgearbeiteten Duells offen. Wie doppelbödig diese Rechnung jedoch sein kann, ahnen wir seit dem noch immer bestem Roman der Epoche, dem „Spion, der aus der Kälte kam“ von John le Carré.

Die idealtypische Spionage-Struktur des Kalten Krieges hat das Gewerbe nicht nur perfektioniert, sondern auch kulturgeschichtlich geradezu geadelt. Noch Joseph Conrads Agenten oder die vielen polnischen Spione des Romans der Jahrhundertwende waren alles andere als eindrucksvoll. Doch die klare Front vermochte es, das Trostlose und das Schäbige des Spionierens mit einer Aura des Ruhms zu überdecken.

Doch ins Licht gerückt, erweisen sich die meisten Spione und Spioninnen vor allem als kaputte Typen: Ursel Lorenzen, der HVA-Spionin bei der Nato, ist der Verrat ins harte Gesicht eingeschrieben, und auf das Konto des „Romeo“ Heinz Sütterlin geht der Tod seiner Frau: Erst vor Gericht erfährt sie, dass ihre Hochzeit im Auftrag des KGB erfolgt war. Leonore Sütterlin erhängte sich darauf in ihrer Zelle.

Der Veredelung der Spionagetätigkeit leisteten die Geheimdienste gerne Vorschub, etwa im öffentlichkeitswirksamen Austausch von Mitarbeitern auf der Glienicker Brücke: Hart, aber fair, wie unter Gentlemen, traf man sich in der Mitte der Brücke, wie Yul Brynner im Film „Die Schlange“ von 1972. In der Serie „Das unsichtbare Visier“des Ostfernsehens kämpfte seit 1973 der Zonen-Bond Werner Bredebusch (Armin Mueller-Stahl) als „Kundschafter des Friedens“ gegen die Dienste des Westens.

Die Realität sah anders aus: Die Beichten jener, die kurz vor ihrer Hinrichtung öffentlich einräumten, Material an den „monopolkapitalistischen Feind“ weitergegeben zu haben, gehören sicher zum Eindrucksvollsten der Leipziger Ausstellung. 38 Todesurteile wurden seit 1952 wegen West-Spionage vollstreckt.

Anders im Westen, wo viele Ost-Agenten – wie Tiedge oder auch der Cambridger Spionagering – rechtzeitig vor der Enttarnung entkamen. Günter Guillaume wurde nach seiner Haft in die DDR entlassen, wo ihn Mischa Wolf mit Blumen begrüßte. Am Ende saß er in einer kleinbürgerlich Ostwohnung, an seiner Seite keine Ursula Andress, sondern die alt gewordene Ehefrau Christel. Beide gehören eher in die späten, bereits von Ernüchterung geprägten „Smiley“-Romane John le Carrés, nicht in die Welt des Ian Fleming. „Richtig in den Apparat hineinlassen wollten sie meine Eltern nicht“, erzählt Guillaumes Sohn in einem Interview. „Meine Eltern haben das nicht wirklich verstanden und fühlten sich nicht gebraucht, fehl am Platze.“ Dabei war er ein Sieger des Duells.

Zeitgeschichtliches Forum Leipzig, bis 21. April. Katalog 19,90 Euro.

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