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Kultur: Das große Fressen

George A. Romero versteckt im Splatterfilm „Land Of The Dead“ radikale Kritik an den USA

Das Grauen begann in einer Kleinstadt. Über Nacht hatten sich die nicht begrabenen Toten aus den Leichenschauhäusern erhoben, um über ihre lebenden Artgenossen herzufallen. Wer immer gebissen wurde, verwandelte sich selbst in einen untoten Kannibalen. Dies geschah zu der Zeit, als Rassenunruhen die USA erschütterten, Studenten randalierten und der Vietcong die Tet-Offensive gegen US-Soldaten in Vietnam startete. Das Grauen auf der Leinwand hatte 1968 ein junger Regisseur namens George A. Romero in Szene gesetzt, im Low-Budget-Film „Night Of The Living Dead“.

Romeros erster Zombiefilm wurde von der Kritik verrissen. Erst nach Jahren bemerkte man den sozialen Sprengstoff des genreprägenden Werks: Die Zombies waren gefräßige Kleinbürger, die ihre Mitmenschen skrupellos verspeisten. Und bei der an den Vietnamkrieg erinnernden Lynch-Jagd auf die Monster erschießen weiße Bürgerwehren den einzigen Überlebenden: einen Schwarzen. Später, in „Dawn Of The Dead“ (1978) verschanzten sich die Menschen in einem Einkaufszentrum. Romero zeigte die sozialen Spannungen zwischen den Eingeschlossenen, das große Menschenfressen verstand er als radikale Kritik am Konsumrausch.

Seitdem sind Jahrzehnte ins Land gegangen. Im richtigen Leben sterben wieder amerikanische Soldaten in einer fragwürdigen Auslandsmission. Und in Romeros neuestem Film „Land Of The Dead“ haben die Untoten inzwischen ganz Amerika erobert. Ganz Amerika? Nein, eine kleine Kolonie leistet tapferen Widerstand. Im Jahr 2005 haben sich die restlichen Menschen hinter Stacheldraht verschanzt. Es sind Bilder wie aus dem Irak: schwer bewaffnete Militärs, Panzerwagen, Straßensperren. Dahinter auf engstem Raum eine Zweiklassengesellschaft: Draußen wärmt sich das einfache Volk über brennenden Tonnen die schwieligen Hände, und hinter dem Sicherheitsglas der edlen Shoppingmall „Fiddler’s Green“ schlürft die Oberschicht Champagner: eine düstere Vision auf den amerikanischen Kommunitarismus. Polizei und Militär befinden sich in den Händen der Reichen.

Im seinem vierten Zombiefilm setzt George A. Romero seine 1968 begonnene Reihe nach langer Pause fort, nach „Day Of The Dead“ von 1985. Wie immer geht es ihm um mehr als nur Ekel und Grusel, für die detailfreudigen Splatterszenen braucht man dennoch einen guten Magen. Held des Films ist der junge Riley (Simon Baker), ein Wanderer zwischen beiden Welten. Gemeinsam mit dem Draufgänger Cholo (John Leguizamo) dringen sie ins Zombieland ein, um Vorräte zu bergen. Doch die tumben Monster lernen allmählich das Denken: Unaufhaltsam marschieren sie auf „Fiddler’s Green“. Romero-Kenner dürfen sich dabei über einen Gastauftritt seines Special-Effects-Experten Tom Savini als Zombie mit Motorsäge freuen. Der mit Mafiamethoden regierende Geschäftsmann Kaufman (Dennis Hopper) sagt den berühmten Satz: „Ich verhandle nicht mit Terroristen“, und in den Techno-Clubs der Stadt hält die amoralische Spaßgesellschaft Zombies zum apokalyptischen Vergnügen in Käfigen, so dass man fast Mitleid mit der gequälten Kreatur bekommt.

Der bis zur letzten Sekunde spannende Actionfilm ist eine für Hollywood untypisch deutliche Amerika- und Zivilisationskritik: Die wahre Bestie ist der vermeintlich zivilisierte Mensch. Manchmal sind die blutrünstigsten Filme auch die moralischsten.

In 14 Berliner Kinos. OV im Cinestar Sony-Center

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