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Kultur: Das Herz des Gipfelstürmers

Stephan Huber hat von Kindheit an die Berge vor Augen. Im Allgäu, wo der Künstler aufwuchs, erlebte er sie stumm vom Schnee der langen Winter, der das "Leben in der Kälte des weißen Gewebes verschwinden" ließ.

Stephan Huber hat von Kindheit an die Berge vor Augen. Im Allgäu, wo der Künstler aufwuchs, erlebte er sie stumm vom Schnee der langen Winter, der das "Leben in der Kälte des weißen Gewebes verschwinden" ließ. Zu seinem 50. Geburtstag hat der Münchner Künstler nun die Türen der Vergangenheit geöffnet und seine bisherigen Arbeiten in einer als Tournee konzipierten Überblicksschau Revue passieren lassen.

Nach Stationen in Leipzig und Hannover ist München End- und Höhepunkt einer theatralisch-surreal-ironischen Inszenierung, die vom Horror und der Harmonie in der Heimat erzählt. Huber flieht das Inventar des elterlichen Hauses mit seinen "Teppichen, Vorhängen, Kissen und Sofas in lindgrün, beige, gelbocker" und sucht sich neue Zimmer, dann ganze Welten im Goldmann-Atlas seiner Kinderzeit. Räume wie Landkarten simuliert er mit seiner "8,5 Zi.-Whg. f. Künstler, 49 J." betitelten Ausstellung, die von einem Standort zum nächsten um jeweils ein halbes Zimmer, also von "7,5" auf "8", dann "8,5" wuchs.

Die Besucher des Lenbachhauses werden zu Akteuren einer dramatischen Hausbesichtigung. Direkt am Eingang locken die Berge als gleißende Gipssilhouette über einer weißen Wand, in die Miniatur-Türen eingelassen sind - doch nur eine lässt sich öffnen. Das Abenteuerspiel beginnt, denn hinter den Türen offenbaren sich Alpträume. Da ist die Welt aus den Fugen geraten in der Installation "Ich liebe Dich" von 1983, wo Parkett und Empire-Fauteuil an einer Wand kleben, ein Charles Eames-Sessel auf einer zum Fussboden gewordenen Stuckdecke steht und ein Kristallleuchter torkelnd durch das Zimmer schwingt.

Auch die dicksten Mauern halten einer Feuersbrunst, Wasserfluten oder Schneelawinen nicht stand. "Shit happens" nennt der Künstler die Serie von Videoloops aus dem Jahr 2001, die, hinter hölzernen Klappen verborgen, den Voyeurismus des Betrachters herausfordert. Neugierige führt er unter die "Ichkuppel" eines überdimensionierten Borsalino, Reminiszenz an die väterliche Hutfabrik, und lässt ihn an Mutters Lamento teilhaben: "Mit dir wird es schlimm enden" oder "Aus dir wird was werden" flüstert die Stimme im Hut. Im letzten Raum vermisst Huber auf digital bearbeiteten, monumentalen Prints von US-Militärkarten "Das Labyrinth in meinem Kopf, dargestellt am Glanz & Elend des XX. Jahrhunderts". Auf diesen "Mental Maps" kolonialisiert er Meere und Kontinente auf imaginären Expeditionen im Stil eines Eroberers und verpflanzt Bayern nach Japan und das Allgäu nach China.

Hubers Territorien werden zu Stationen einer Spurensuche in den Kern des Ich. Im Zentrum dieses Kosmos der Leidenschaften, Ängste und Wünsche schlägt "Saussures Herz". Einer Reliquie gleich schwebt das Kunststofforgan in einer Vitrine. Es ist eine Hommage an den Schweizer Naturforscher Horace Bénédict Saussure, der 1787 als zweiter Mensch den Montblanc bestieg. Das Herz eines Gipfelstürmers.

Eva Karcher

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