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Kultur: Das Herz eines Tapferen

Adolf Muschgs Antrittsrede als Berliner Akademiepräsident

Von Gregor Dotzauer

Wie er am Ende so dastand, umgeben von seiner vielköpfigen Truppe, die er, der Zirkusdirektor, zu sich auf die Foyertreppe der Akademie der Küste gebeten hatte, da war einem einen Moment ganz wehmütig ums Herz, dass man György Konrád nie mehr in seiner Funktion als Akademiepräsident würde sehen können. Und weil er gar nicht mehr aufhören wollte, das Bild von den Artisten und ihrer Ratlosigkeit unter der Zirkuskuppel zu strapazieren, sah man auch ihn selbst schon tieftraurig zu seinem Wohnwagen zurückschlurfen, mit einem letzten Blick in die Manege am Hanseatenweg, die sechs Jahre lang seine Welt gewesen war. Dann aber kam Adolf Muschg, er fiel Konrád geradezu in die Arme, und es war klar, dass nichts zu Ende war – nur dass die ungarische Sprachfärbung künftig einer schweizerischen Platz machen müsste. Drei Jahre, sagte Konrád, habe sein gerade gewählter Nachfolger nun Zeit „für kleinere und größere Wunder“. Und auf sich selbst bezogen, drohte er mit allem ihm zur Verfügung stehenden Charme: „Wir aber treffen uns noch – Unkraut vergeht nicht.“

Muschgs Wahl zum neuen Akademiepräsidenten – mit überwältigender Mehrheit – war keine Überraschung. Höchstens, dass sich überhaupt ein zweiter Kandidat, der Künstler Jochen Gerz, bereit erklärt hatte, sich um das Amt zu bewerben, war die Neuigkeit der späten Samstagsstunde. Denn Muschg beerbt Konráds europäische (und mitteleuropäische) Träume auf eine Weise, die ihn zur Nachfolge prädestinierte – auch wenn er das mit all seinem, Konrád durchaus ebenbürtigen Charme herunterzuspielen versuchte. Nach dem „Danziger Katholiken Günter Grass, dem Hamburger Lutheraner Walter Jens und dem ungarischen Juden György Konrád“, müsse Berlin eben nun „mit einem Schweizer Reformator vorlieb nehmen“, erklärte er in seiner hochlebendigen, frei gehaltenen Rede, die nachher, im Dienstzimmer des Akademie-Sekretärs, vor Journalisten noch eine Fortsetzung fand.

Um sich als Schweizer in Preußen zu legitimieren, hätte es gar nicht des argumentativen Aufwands bedurft, mit dem er den Zuhörern seiner Antrittsrede kam. Musch erinnerte daran, dass das bedeutendste Werk der Schweizer Literatur, Gottfried Kellers „Grüner Heinrich“, in Berlin enstanden sei. Bezog sich auf Ulrich Bräkers preußisches Söldnerjahr und dessen „Armen Mann in Tokkenburg“ („Ich will’s überleben!“). Und geriet über dem noch als Kind auswendig gelernten helvetischen Schlachtlied des großen Diaristen Henri-Fréderic Amiel fast ins Singen: „Roulez, tambours! pour couvrir la frontière / Aux bords du Rhin, guidez-nous au combat!“ Spätestens da hätte man Muschg sein ebenfalls Amiel entlehntes Motto geglaubt: „C’est le cœur qui fait les braves.“ – Tapfer macht einen erst das Herz. Mit dem Schweizer, der mit einer Japanerin verheiratet ist, die er 1988 am Berliner Wisenschaftskolleg kennen lernte, kommt also auch ein Stück französischen Geistes nach Berlin – und ganz gewiss kein Träger jener Kette, die Kaiser Willem Zwo für die Preußische Akademie hatte anfertigen lassen und deren Odyssee Muschg nachzeichnete.

Für alle intellektuellen Auseinandersetzungen ist der Mann bestens gewappnet. Ob er die Rolle der etwas schwerfällig gewordenen Akademie zwischen Hanseatenweg und Pariser Platz neu bestimmen kann, ist eine andere Frage. Die erste seiner versprochenen Provaktionen hat er freilich schon geleistet: Nichts. so Muschg, gegen Bundesmittel und nationale Bedeutung – aber nur bei weiterhin föderalen Akademiestrukturen.

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