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Roberto Saviano vor der Aufführung. Während seiner Performance zur Eröffnung des Italienischen Theaterherbstes herrschte aus Sicherheitsgründen Fotografierverbot. Das Festival geht bis zum 7. November, Informationen unter www.teatrotheater.de. Foto: dapd

© dapd

Kultur: Das hohe Lied der Mutigen

Roberto Saviano beschwört in der Berliner Volksbühne „Die Schönheit und die Hölle“

Nein, das war zur Eröffnung des Italienischen Theaterherbsts mit Roberto Saviano in der Berliner Volksbühne keine Lesung und auch kein monologisches Stück. Es war das Aufleben einer fast vergessenen Kunst: der mündlichen Erzählung von fernen und nahen Menschen, von abenteuerlichen, wunderlichen Geschichten und magischen Momenten. Wie einst die homerischen Sänger, die mittelalterlichen Rhapsoden oder die morgenländischen Fabelspinner kündet der seit seinem Buch „Gomorrha“ weltberühmte und von der Mafia mit Mord bedrohte neapolitanische Autor von der „Schönheit und der Hölle“.

„La belezza e l’inferno“ heißt auch sein neues, gerade auf Deutsch erschienenes Buch (Tsp. vom 18. 10.). Aber Roberto Saviano liest nicht daraus, sondern erzählt zwei Stunden lang völlig frei und allein auf der riesigen Bühne vor vollbesetztem Haus – während sich Hunderte noch draußen drängen und sein Auftritt auch auf Leinwände im Foyer übertragen wird.

Frei zu sprechen, das hat für den seit jetzt genau drei Jahren im Untergrund, in ständig wechselnden Wohnungen, Polizeikasernen und scharf bewachten Hotelzimmern wie ein Nomade im goldenen Ruhm und bleiernen Käfig lebenden Autor eine vitale, doppelte Bedeutung. Saviano macht es gleich bei der Begrüßung klar.

Zuerst sagt er nur immer wieder „grazie, danke, danke“ und zitiert etwas später auf Deutsch John F. Kennedys Satz „Ich bin ein Berliner“. Roberto Saviano fügt hinzu, dass er sich nicht mit JFK vergleichen wolle. Aber er erinnert in seiner simultan übersetzten Rede-Performance daran, was jenes legendäre Bekenntnis gemeint habe: Alle, die damals die Freiheit der Rede und des Lebens verteidigten, hätten sich im ideellen Sinne als „Berliner“ gefühlt. Und er selber hoffe darauf, dass in seinem Land, wo man ihn mittlerweile sogar im Staatsfernsehen der RAI zu zensieren versuche, sich die politischen Verhältnisse wieder so veränderten, dass er mit Stolz von sich sagen könne „Ich bin ein Italiener“. Da jubeln ihm im Saal auch die zahlreichen italienischen Berliner zu.

Ein Stuhl, nur einmal kurz benutzt, eine Flasche Wasser (sie bleibt unberührt), ein Notenständer mit Notizen, eine Leinwand im Hintergrund, am Rand die italienischen Personenschützer und ganz vorne der schmale, bärtig-kahle Mann von 31 Jahren in Jeans, offenem Hemd und legerem Jacket. Die melancholisch dunklen Augen leuchtend, manchmal blitzt ein ironisches Lächeln, in der einen Hand hat er ein Bündel fliegender Blätter, die andere begleitet im luftmalerischen Gestus die sanft sonore Erzählstimme. Mal ein bisschen eingespielte Musik, mal ein paar Videobilder.

Es sind einige Kapitel aus dem neuen Buch, die er variiert, extemporiert, weiterspinnt, aktualisiert. Das Verbindende ist, dass Saviano fast immer Menschen beschwört, die durch ihren Mut und ihr Talent, durch ihre Unbeirrbarkeit ausgebrochen sind aus dem Gefängnis ihres Körpers, ihres Milieus, ihres tyrannischen Staats oder der mafiosen Gewalt. Einige endeten tragisch – wie die mit einem Handy im Sterben gefilmte, von Regime-Schergen erschossene iranische Demonstrantin Neda oder der im Zusammenwirken von Erdölindustrie und Diktatur getötete nigerianische Schriftsteller Ken Saro Wiwa. Aber Saviano gibt auch den Namenlosen ein Gesicht: etwa den afrikanischen Immigranten und ihrem Aufstand gegen die Camorra in Castelvolturno. Einmal reicht der Erzähler auch eine echte Kalaschnikow hinunter ins Publikum, damit die Zuschauer „erstmals in der Theatergeschichte eine Massenvernichtungswaffe“ berühren können. Denn mit dieser russischen MP, die auch die Mafia gebraucht, „wurden schon mehr Menschen getötet als durch Atombomben oder biologische Waffen“. Danach ist als Projektion eine aus einer Kalaschnikow gebaute Lampe des Designers Philippe Starck zu sehen – so viel zu Moral, Markt und Ästhetik.

Dagegen beschwört Saviano „die wahre Schönheit, die der Hölle immer ein Stück ihres Territoriums raubt“. Sie verkörpert zum Beispiel das Spiel des einst zwergwüchsigen Fußballgotts Lionel Messi oder der verkrüppelte, bucklichte Pianist Michel Petrucciani, der mit seinen „Knochen aus Glas“ eine himmlische Musik erschaffen hat. Warum er sein Leiden mit kräftezehrenden Konzerten bekämpft habe? „Weil es jedesmal ein Liebesakt war, mit dem Publikum!“

So muss es auch Roberto Saviano gehen, wenn er aus seiner Isolation ins Theater ausbricht, das ihn am Ende mit stehenden Ovationen feiert.

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