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Kultur: "Das kleine Buch der Liebe": Im Garten der großen Gefühle

Beim Joggen haben es die Freundinnen plötzlich gewusst. Die Liebe kommt wie die Malaria, sogar die Symptome sind dieselben.

Beim Joggen haben es die Freundinnen plötzlich gewusst. Die Liebe kommt wie die Malaria, sogar die Symptome sind dieselben. Damit steht die Hauptdarstellerin des "Kleinen Buchs der Liebe" bereits fest. Die Malaria! Sie besitzt nur einen entscheidenden kinematographischen Nachteil. Genau wie die Liebe hat sie kein Mensch jemals gesehen. Es bleiben uns nichts als die Symptome. Die Brasilianerin Sandra Werneck hat mit "Das kleine Buch der Liebe" eine Fieberkurve verfilmt - ein konsequenter Beitrag zur naturwissenschaftlichen Aufklärung.

Sandra Wernecks kleiner Film war dort über die Maßen erfolgreich und gewann gleich mehrere Preise. Man kann das erklären. Südamerikaner drehen normalerweise Liebesfilme, die mindestens so schwer sind wie ihre Rotweine. Wunderbare, furchtbar morbide Tragödien. Und der Held ist jedesmal der Hauptdarsteller seiner eigenen Fieberkurve. Bei Werneck ist das anders. Im Falle von Luiza (Andréa Beltrao) und Gabriel (Daniele Dantas) handelt es sich lediglich um Hospitalisierte, und die Regisseurin verhält sich wie ein Arzt nach dem morgendlichen Studium der Krankenakte. Von wegen, im Mittelpunkt der Krankheit steht der Mensch! Es handelt sich keinesfalls mehr um die Wahrnehmung der Tragödie. Man merkt es auch an der ungemeinen Beredsamkeit aller Beteiligten.

"Das kleine Buch der Liebe" ist unbrasilianisch, eher europäisch-frivol. In jeder Aufklärung steckt ein Stück Frivolität. Und Aufklärung bedeutet vor allem: Fakten! Fakten! Fakten! Auf die Systematisierung kommt es an. Denn genau sowenig, wie man die Malaria filmen kann, läßt sich eine Fieberkurve verfilmen. Zeigbar sind nur Abschnitte. Stadien der Krankheitsentwicklung. Werneck unterteilt ihren Film darum in viele einzelne Kapitel, die jedoch noch so lebensweltverhaftete Namen tragen wie A wie Amor, E wie Esperanca (Hoffnung), S wie Seperacao (Trennung) oder Z wie Zaragata (Streit). Amor! Leider versäumt die Autorin die konsequente Entmythologisierung der Putte aus dem Geist der Malaria. Überträgerin und Pfeilspitze des lebensbedrohlichen Fiebers ist die Sumpfmücke Anopheles.

Das Risiko dieses Films wie der Aufklärung überhaupt ist die Trivialisierung. Es gibt ohne Zweifel mehr oder weniger gelungene Fieberkurven, aber welche dürfte noch ihre Unverwechselbarkeit behaupten? Die Aufklärung verkleinert vor allem den Schmerz. Die Tragödie wird zum Kommentar, die Arena zum Warteraum. Noch etwas: Was ist überhaupt der Unterschied zwischen der Malaria und der Liebe? Die Zahl der Malaria-Erkrankungen ist schon länger stark rückläufig - insbesondere seit der Entdeckung des Chinins.

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