zum Hauptinhalt

Kultur: Das Leben könnte so rosig sein

Ihre Motive begegnen einem täglich. Auf dem Weg zur Arbeit.

Ihre Motive begegnen einem täglich. Auf dem Weg zur Arbeit. In der Küche. Beim Blick aus dem Fenster. Maria Sewcz fotografiert ein umgestürztes Kinderauto oder verregnete Bistro-Tische. Ein Heft, das auf dem Boden liegt und dessen Seiten leicht geknickt sind. Sie zeigt die Trostlosigkeit der Hinterhoffassaden, braun und verschwommen. Die Berliner Künstlerin hält seit zwanzig Jahren Alltagsmotive fest, die durch ihr lapidares Dokumentieren irritieren. Zuletzt waren sie in der Ausstellung „Kunst in der DDR“ in der Neuen Nationalgalerie zu sehen; nun widmet das Haus am Waldsee der 44-Jährigen unter dem Titel Point out eine Einzelausstellung (Argentinische Allee 30, bis 2. Mai; Dienstag bis Sonntag 12-20 Uhr. Katalog, Jovis Verlag, Berlin, 29,80. Euro). Von ihrem ersten Projekt bis zu den neusten Videokunst-Experimenten wird hier ihr Gesamtwerk gewürdigt. Sewczs’ Fotografien machen auf die Einsamkeit aufmerksam, die hinter vermeintlich gewöhnlichen Situationen steckt. In ihren Motiven steckt immer das Moment des Ambivalenten: Der kleine Junge auf der türkisfarbenen Luftmatratze, halb zudeckt von einer orange-braunen Decke, ist inszeniert und zeigt doch die höchst intime Situation des Schlafens.

Nicht von ungefähr lautete der Titel ihrer 1987 entstandenen Diplomarbeit „inter esse“. Damals studierte die in Schwerin geborene Künstlerin Fotografie an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst. Ihre erste große Serie widmete sie Ostberlin. Den aus der Vogelperspektive aufgenommenen Alexanderplatz, überschattet vom symmetrischen Fernsehturm, reduziert sie auf seine geometrischen Formen: Die Rautenfassade des heutigen Kaufhofgebäudes ist noch nicht von Leuchtreklame verdeckt und der kreisförmige Brunnen noch nicht von Buden umzingelt. Die Menschen sind nur kleine Punkte. Die Wende brachte für Sewcz auch eine veränderte Bildästhetik. Sie fotografiert seitdem in Farbe. Die Bilder sind unscharf und überbelichtet, die Melancholie aber ist geblieben. Einzelausstellung und Katalog kamen durch das Berliner Künstlerinnen-Programm zustande; der Jury hatten es vor allem die „Verkantungen, Verzerrungen und gesellschaftlichen Bezüge“ ihrer Arbeiten angetan. Die melancholische Stimmung ihrer Bilder findet durchaus ihren Niederschlag im wirklichen Leben: Womöglich wird auch das Künstlerinnen-Programm den Sparmaßnahmen des Senats zum Opfer fallen.

Michaela Soyer

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false