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Kultur: Das Mädchenwunder

Sie ist 16 und klingt wie Aretha Franklin: Joss Stones Debüt-CD „The SoulSessions“

Eine gute Sache wäre es, sich Van Morrison vorzustellen. Also: Van Morrison in seinem Haus, das an irgendeiner Steilküste steht. Er befindet sich im Wohnzimmer, neben dem Kaminfeuer, und hält ein schweren Glas Scotch in der Hand. Morrison ist nachdenklich an diesem regnerischen Abend. Er beschließt, die CD einzulegen, die sein Agent ihm gegeben hat. „Hör’ dir das an, Van“, hat der Agent gesagt. „Es wird dich umblasen.“ – „Mich bläst so leicht nichts mehr um, das weißt du, alter Freund“, hat er geantwortet und gelacht. Minuten später läuft Joss Stones Platte, Mr. Morrison braucht einen weiteren Scotch und zündet sich entgegen seiner Gewohnheit eine Zigarre an.

„The Soul Sessions“ heißt das Album. Und es ist klasse, besonders, wenn man gar nichts weiß über Joss Stone. Aha, eine 41-jährige Schwarze, denkt man, die bis jetzt in ihrem Leben so rumgetingelt ist, und möglicherweise mal als Background-Sängerin gearbeitet hat. Die nie Zeit hatte, eine Familie zu gründen und das jetzt bedauert. Man ist ja ziemlich schnell mit sowas. Und auch ziemlich schnell umgeblasen von Joss Stone, wegen der kraftvollen Stimme, die viel vom Leben weiß und trotzdem fast immer so schön entspannt ist. Die darauf vertraut, dass Soul nicht zwangsläufig Zuckerguss und kleine hysterische Kiekser in künstlichen Höhen bedeuten muss. Diese Stimme baut dem alten Soul ein aufregendes und doch stabiles Haus – ohne Kinderzimmer, dafür mit extra Bar-Geschoss.

Dann hört man die Platte nochmal, bleibt da und dort erstaunt hängen. Besonders bei „Dirty Man“, einem ziemlich skurrilen Song, erstmals 1967 aufgenommen von Laura Lee, die es später mit „Women’s Love Rights“ und „Love and Liberty“ nicht nur in Freie- Liebe-Kreisen zu einiger Berühmtheit brachte. Und man bleibt hängen bei „All The King’s Horses“, bezeichnenderweise ausgerechnet von Aretha Franklins Album „Young, Gifted and Black“, und denkt: Joss Stone ist bestimmt keine, die beim Singen mit den Händen die Töne einfängt und die Luft metzgerinnenmäßig zerschneidet wie diese maskierten R&B-Frauen oder auch Yvonne Catterfeld.

Was noch? „I’ve Fallen In Love With You“ von Carla Thomas, laut der „New Rolling Stone Encyclopedia Of Rock And Roll“ die allein herrschende Königin des Soul vor Aretha Franklin. Und eine sehr schöne Version von „Fell In Love With A Girl“ gibt es auch noch – diesmal keine Neuinterpretation einer halbvergessenen Soul-Legende, sondern eines modernen Songs von Jack White von den „White Stripes“. Großartig.

Schließlich will man mehr wissen und erschrickt: Joss Stone ist erst 16 Jahre alt, Engländerin und hat Ähnlichkeit mit der Pop-Sängerin Avril Lavigne. Joss trägt zwar weder Schweißbänder an den Handgelenken noch Krawatten und sie trampelt auch nicht auf Kraftfahrzeugen herum. Wer Joss Stone singen hört, will vor allem nicht glauben, was oder wer sie alles nicht ist. Aber man glaubt ihr sofort, wenn sie von der Liebe singt und darüber, dass irgendwelche Männer bitteschön sofort zurückkommen oder auch weggehen sollen. Weil „The Soul Sessions“ keine Karaoke-Show ist, sondern Joss Stone es auf wundersame Weise schafft, die Geschichten so zu erzählen, als seien es ihre eigenen. Sie sagt, was womöglich zu viele junge Frauen heutzutage sagen: „Ich will einfach nur singen und Songs schreiben.“ Sie soll bitte damit weitermachen.

Seltsam auch die Entstehungsgeschichte der Platte: Betty Wright, die berühmte Produzentin, kümmerte sich höchstpersönlich um Joss Stone und überredete nach und nach viele alte, schwarze Musiker, die in der Miami-Sound-Szene der 70er groß geworden waren, ins Studio zu kommen – zum Beispiel den Gitarristen Little Beaver, der inzwischen bei der Eisenbahn arbeitet, den Organisten Timmy Thomas, Verwaltungsangestellter an einem College, und den Pianisten Latimore. Die drei hatten sich Jahre nicht gesehen und offenbar auch nicht sonderlich vermisst, aber was im Studio passiert ist, als sie sich wiedertrafen, muss rührend gewesen sein – ein Hauch des Buena-Vista-Social- Club-Gefühls in Downtown Miami. „Wie in alten Tagen“, soll Betty Wright gesagt haben. Nur Joss Stone konnte nicht mitreden von den alten Zeiten, als Soul und Disko sich in Miami Beach trafen und zusammen furchtlos ganz schön weit rausschwammen. Sie konnte nicht mitreden, doch sie muss sehr genau gefühlt haben, um was es geht.

Ihr musikalisches Leben? Die erste Platte, an die sie sich erinnern kann, ist „I Will Always Love You“ von Whitney Houston, das erste Album, das sie vom Taschengeld kaufte, war der Legende nach „Greatest Hits“ von Aretha Franklin. Geboren in Dover, mit acht Jahren Umzug aufs Land, die zweitjüngste von vier Geschwistern. Und tatsächlich, auch Joss sang 2001 bei einer Castingshow vor, dem „Star for a Night“ der BBC. Sie gewann mit Aretha Franklins „A Natural Woman“. Seit Joss Stone schließt es sich irgendwie nicht mehr automatisch aus, 14 zu sein und „A Natural Woman“ zu singen. Was einem auch Angst machen kann, wenn man sich nicht vor Casting-Shows fürchtet.

Und wie geht’s Van Morrison? Ganz gut, er hat sich verliebt.

Joss Stone: „The Soul Sessions“, EMI

Esther Kogelboom

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