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Kultur: Das Märchen vom Glück ohne Ende

Das Märchen hält Wunder bereit.Aber es verschenkt sie nicht.

Das Märchen hält Wunder bereit.Aber es verschenkt sie nicht.Ausdauer verlangt das ersehnte Glück, es will errungen sein, mit Tapferkeit, Zuversicht und Selbstverleugnung.Federico Fellinis Prostituierte Cabiria, Titelfigur eines 1957 gedrehten Films, ist ein Menschenkind, dem es an keiner der vom Märchen verlangten Tugenden fehlt.Aber für Cabiria gibt es kein Wunder.So entschlossen sie auch ihren Weg geht, sie findet aus Einsamkeit und Erniedrigung nicht heraus, landet immer wieder am Abgrund.Auf der Bühne des Chemnitzer Schauspielhauses ist dieser "Weg" bestimmend - eine hölzerne Konstruktion führt in sanfter Krümmung bis an den Horizont, eine beleuchtete Leinwand, hinan (Bühne: Tania Lauenburg).Durch Drehung gibt der breite Steg Schluchten frei oder eine Böschung.Zimmer werden so herbeigezaubert, Plätze, Kneipen, sogar ein fahrendes Auto.Es ist eine Märchenwelt, die sich mit großer Ruhe entfaltet, belebt von Leuten, die ihre Konflikte in anmutigen Tanzschritten ausleben.

Michael Kliefert und Herbert Olschok wollen Fellinis Film "Die Nächte der Cabiria" (Autoren neben Fellini: Ennio Flaiano und Tullio Pinelli) auf diese Weise nacherzählen, ihm eine neue Form geben und seinem Anliegen treu bleiben.Giulietta Masina hat die nach Liebe suchende käufliche Frau gespielt, mit kindlichem Staunen, einem erwachsenen Lebensmut und mit großen, wundersüchtigen Augen.Dieser Film, gedreht vor mehr als vierzig Jahren, für die Bühne? Kliefert und Olschok liefern keine Kopie.Auch wenn sie die Geschichte aus den fünfziger Jahren nicht herausnehmen, meiden sie die Milieustudie, halten sich von jeder dokumentarischen Verpflichtung fern.Das Filmische wird übersetzt in einen neuen, vom Theater geprägten Lebensraum, ein Ineinander von Bewegung, Musik, Licht, phantasievoller Bildschöpfung.

Aufbegehren und Trauer kommen in einer Folge farbintensiver lyrischer Szenen (Kostüme: Wally Lindner-Badstübner) mit sanften Überblendungen und langsamen, behutsam choreographierten Bewegungsabläufen auf die Bühne.Der Regisseur Herbert Olschok verliert sich allerdings an diese Langsamkeit, zelebriert sie mit vertrackter Selbstliebe - mitunter gehen die Musikeinspielungen (Beethoven, Ravel, Miles Davis und viele andere) mitsamt ihrer tänzerischen Interpretation über die Geschichte der Cabiria hinweg.Auch die als emotionale Stützen, als Prolog und Epilog eingesetzten Rilke-Gedichte können nicht verhindern, daß sich die Aufführung ins Melodramatische, in die "feine" Bewegung an sich verliert.Dann, wenn Cabiria entschlossen in den Mittelpunkt rückt, gelingt auch wieder eine unbelastete, beschwingte Art gestischen Erzählens.Olschok will wohl so verstanden werden: Das Leben ist schwer, und es soll dafür auf eine angenehme, formbewußte Art dargeboten werden.Die Menschen sind schlecht - aber mit der ins Tanzen gerissenen Cabiria bleibt immer ein wenig Hoffnung, ein Strahl Licht.

Möglich wird diese Zuversicht durch die Cabiria der Ursula-Rosamaria Gottert.Ein schmales Persönchen, um das immer ein Hauch Fremdheit ist.Die Schauspielerin hat die Härte, den Grimm, zeigt die trumpfend obszönen Gesten der gereckten Oberarme mit Genuß.Und sie hat das Weiche, Schmiegsame der Liebesbedürftigen.Wenn ihre Cabiria einen Zipfel Glück erhascht, fährt das durch den ganzen Körper.Wenn sie tanzen darf, gerät sie in hinreißender Weise außer sich.Ursula-Rosamaria Gottert kann verlegen begeistert sein, schüchtern und dann wieder frech, temperamentgeladen, ruppig.Die schönste Szene gibt es zum Schluß - Hingabe an den Buchhalter, der die Ehe versprochen hat, wechselt mit dem Schreck, der Verzweiflung über den Betrug dieses Menschen.Voller Schmerz verkrampft sich das mit den Tränen kämpfende Gesicht - eine Hoffnung zerbricht, macht den Körper schlaff und wehrlos.

Das Ensemble kann für die Cabiria-Geschichte nur die Stichworte geben, alle Darsteller spielen mehrere Rollen.Nur eine Entladung läßt Herbert Olschok zu: Die Varietészene, in deren Verlauf Cabiria eine tiefe Erniedrigung erfährt, dröhnt aus dem Zuschauerraum herauf (auf schwarz verhüllten Sitzen haben die Darsteller mitten im Publikum Platz genommen), schwappt auf die Bühne über, zeigt eine lärmende, radikal böse Zurichtung von Menschen als willfährige Objekte billiger Unterhaltung.

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