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Kultur: Das nomadische Auge

Fotos von Mette Tronvoll im Haus am Waldsee

Eigentlich, sagt Mette Tronvoll, seien die Bilder gar nicht so wichtig. Das jeweilige Zusammentreffen von Fotografin und Fotografierten bedeute ihr mehr. So sind Tronvolls Fotos, wie sie jetzt im Berliner Haus am Waldsee präsentiert werden, Spuren gelebter Zeit, die die norwegische Künstlerin mit Badenden in Grönland, mit Japanerinnen beim Seetangsammeln oder Nomaden in der mongolischen Steppe verbracht hat. Jedes dokumentarische, weitgehend unmanipulierte Bild ist Abglanz von größeren, komplizierteren Dingen. Dabei gelingt es der Künstlerin, den Energiefluss bei den Begegnungen, das Aufblitzen der Blicke oder auch die stille Gleichspannung des einvernehmlichen Bildermachens aufschimmern zu lassen. „Auf Augenhöhe“, lautet der Ausstellungstitel. Es ist das Credo einer Künstlerin, die nie auf die Idee käme, ihre Modelle heimlich aus dem Gebüsch anzupeilen.

Katja Blomberg, Kunsthistorikerin und Leiterin des Hauses am Waldsee, legt den Fokus gern auf „mittlere Karrieren“, holt Künstler wie Tronvoll ins Haus, die konsequent ihr Werk entwickeln. Meist leben sie am Ort. Tronvoll pendelt zurzeit zwischen Oslo und Berlin. „Based in Berlin“ - als Ausstellungsidee ist das für Blomberg ein alter Hut, aus dem sie freilich immer wieder Künstler hervorzaubert, die hier viel zu wenig bekannt sind.

Einen langen Atem hat Mette Tronvoll bei ihrer Fotoserie „Rena“ bewiesen. Jahrelang hatte die Fotografin das Shooting mit einer norwegischen Spezialeinheit vorbereitet, das dann gerade mal eine halbe Stunde dauerte: für Einzelportraits der vermummten Elitesoldaten vor verschneiter Landschaft. Da kollidieren zwei Welten: Die Frau, die stets mit offenen Karten spielt, trifft einen Männerbund, der aus dem Geheimen operiert. In Tarnungen und maskulinen, teils skurrilen Posen stehen sie vor der Kamera. „Einer wollte sein Gewehr laden, weil er das authentischer fand“, erzählt Tronvoll.

Ausnahmen bestätigen bei ihr die Regel. Ihr Standard – Menschen blicken offen ins Objektiv wie einst bei August Sander – ist geprägt von der Studiofotografie, die sie in den 90er Jahren in New York betrieb. Vor allem Frauen fotografierte sie dort, junge Frauen aus Tronvolls Heimat. Zusammen mit Bildnissen älterer Norwegerinnen – vor gleichem Studiohintergrund, aber diesmal in Nordeuropa abgelichtet – zeigt die Künstlerin die Bilder als eine Serie von Doppelporträts. Ein faszinierender Bildessay über Unterschiede und Gemeinsamkeiten, Volk und Individuum.

Ähnlich dokumentarisch-sachlich: die 1999 entstandenen Bilder von Grönländern, die bis zur Schulter in einer heißen Quelle stehen. Zur selben Reise und Serie („ Isortoq Unartoq“) gehören die Aufnahmen eines Gletschers, der bei Tronvoll aussieht wie ein schlafendes Monster. Digitalkameras kommen bei ihr höchstens privat zum Einsatz; das Fotohandy verwendet sie als elektronisches Notizbuch. Ihre Kunst – alte Schule im besten Sinn – lebt von der Subtilität, den gesättigten Farben des chemischen Bildes. Das gilt auch für die oft riesigen Abzüge.

Auch das Kino zählt die Künstlerin zu ihren Inspirationsquellen. Speziell Terrence Malick hat es ihr angetan, das natürliche Licht, die ungewöhnlichen Szenenwechsel in seinen Filmen. Wie Standfotos wirken denn auch die Bilder ihrer Serie „Goto Fukue“, entstanden auf der gleichnamigen Insel im Süden Japans. Dort fotografierte Tronvoll Frauen in Gummistiefeln beim Ernten von Algen. Die kurze Ebbe lässt ihnen kaum Zeit, man sieht mürrische Blicke, ein eiliges Sammeln und Vorüberhasten. Im Haus am Waldsee zeigt die Fotografin auch Bilder des gefluteten Felsenstrandes. Für Momente hat sie unter die (Wasser-)Oberfläche geblickt. An Henri Cartier-Bressons „entscheidenden Augenblick“ glaubt Mette Tronvoll nicht. Ihre Fotografien feiern das flüchtige Glück der Gegenwart. Jens Hinrichsen

Bis 28.8., Argentinische Allee 30, Di-So 11-18 Uhr. Katalog (Schirmer/Mosel) 29 €.

Jens Hinrichsen

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