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Kultur: Das Raubtier auf der Potse

Berlin ist eine leichte Beute: Drei Filmregisseurinnen durchleuchten die schrille Welt des Theatermachers René Pollesch

Die Potsdamer Straße zum Beispiel. Dönerbuden, Resterampe, Woolworth und der Straßenstrich. Eine durchgeknallte Sonnenbrillen-Verkäuferin, eine noch irrere Alte und jede Menge soziale Dropouts. Genau die richtige Umgebung für Oh-Boy, der als Laiendarsteller eine Rolle in René Polleschs neuem Stück übernommen hat und nun, weil er seinen Text nicht kann, ziellos durch die Stadt irrt.

„Eigentlich“, sagt Regisseurin Esther Gronenborn, „ist die Potsdamer Straße eine freundliche Gegend.“ Sie habe so etwas Gemütliches, Heimeliges – ein Kiez eben. Hässlich, okay, so wie die meisten Ecken von Berlin hässlich sind, aber gleichzeitig doch typisch: Einen Film wie „Stadt als Beute“ hätte man nie in München drehen können.

Den Anstoß gab Theatermacher René Pollesch, mit seinem ersten großen Prater-Erfolg 2001, dem Stück „Stadt als Beute“. Der Titel hat Irene von Alberti fasziniert, als sie frisch nach Berlin kam und überall die Plakate hingen. Berlin als Beute, das ist ihr Bild von der Stadt. Später dann merkte sie, dass Polleschs Stücke nur so vor Sätzen strotzen, die danach schreien, verfilmt zu werden. „Wenn seine Stücke eine richtige Handlung hätten, wäre das nie so gegangen“, erzählt ihre Regiekollegin Gronenborn. „Doch gerade diese diskursiven Sätze, die im Raum stehen, haben uns gereizt.“

Was haben sie getan, die drei Regisseurinnen, die sich seit Studienzeiten kennen? Einfach Pollesch-Sätze weitergedacht, in drei sehr unterschiedlichen Filmepisoden. Sätze wie „Huren erzählen aus einem Leben, das sie nicht haben.“ Miriam Dehne beschäftigt sich gern mit Geschichten aus dem Pornomilieu, da kam ihr der Satz sehr gelegen. Julia Hummer, mit blonder Perücke, als Tabledancerin: eine ungewohnte Rolle für die Träumerin unter den deutschen Schauspielerinnen, aber sie hat es sich selbst gewünscht. Und Inga Busch, die große, leidenschaftliche Pollesch-Protagonistin, die so wunderbar „Scheiße“ brüllen kann, gerät durch Zufall in diese Bar, gerät in eine Abhängigkeit, erlebt ein Leben, „das sie nicht hat“. Der Körper als Scheißhotel, auch so ein Pollesch-Satz, bekommt hier einen ganz anderen Sinn.

Die Bar „Rush-Hour“ liegt in Tempelhof, gleich an der Autobahn. Früher hieß sie „Rattenburg“. Ein Unort, den man ohne Ortskenntnis nie finden würde. Zwar beginnt alles am Prater, wo auch die erste Episode von Irene von Alberti spielt, die den Schauspieler Marlon in die Truppe bringt. Doch es sind die verlorenen Randgebiete, von Potsdamer Straße bis Tempelhof, die die Regisseurinnen besonders gereizt haben. Warum Zehlendorf nicht vorkomme, in den Filmen, hat ein mitproduzierender ZDF–Redakteur gefragt. Weshalb der Film auch nicht, wie ursprünglich geplant, „Berlin Stories“ heißt, das hätte zu enzyklopädisch geklungen. „Stadt als Beute“ ist beides: Motto und Ziel.

Und René Pollesch spielt mit Hingabe sich selbst. Denn alle Episoden laufen zusammen in den Theaterproben. Marlons erster Auftritt, die Nervosität vor dem Text, das gemeinsame Warten auf Oh- Boy, Inga Busch, die sich so ungern fotografieren lässt, und dazwischen Pollesch, vermittelnd, aber auch fordernd. Der Regisseur als Selbstdarsteller, und die starken Frauen, die er so gern in Szene setzt, zur Abwechslung einmal auf dem Regiestuhl, das müsste ihm gefallen haben. Einmal sei er mit Baseball-Cap erschienen, erzählen die drei, und hatte angeboten: „Ich mache Euch auch den Steven Spielberg“. Doch es ist eher eine Art Woody Allen geworden: ein Zweifler, ein Kopfmensch, der von der geballten Gruppenpsychologie auch manchmal überfordert ist, wenn die Funken zwischen den Profis und den Laien fliegen.

Was die drei in Polleschs Stücken gefunden haben, ist ein Gefühl unserer Zeit. Ein Gefühl der Hilflosigkeit, der Verlorenheit. „Es ist ein bisschen wie in einem Monopoly-Spiel, aber man bekommt die Schlossstraße nicht“, meint Miriam Dehne. Nur einmal lässt der Film sich auf die glänzende Seite der Hauptstadt ein, am Ende der dritten Episode. Oh-Boy ist bei seiner Wanderung am Potsdamer Platz gelandet, im Sony-Center – und nimmt ein Bad im Brunnen, das zu einer aberwitzigen Begegnung mit einem Wachmann führt. Der Hausherr Sony hat nach langem Zögern zugestimmt, aus Sorge, schlecht wegzukommen im Film. Und steht doch für viele, für weltweit agierende Konzerne wie Daimler/Chrysler oder die Deutsche Bank, die die Stadt in ihren Fängen halten. Stadt als Beute klingt hier plötzlich ganz anders. Vom Schmuddel-Kiez der Potsdamer Straße ist es nur wenige Schritte weg.

„Stadt als Beute“ hat heute, 19 Uhr 30, im Forum der Berlinale Weltpremiere (Cinestar 8). Weiter Vorführungen: morgen, 12Uhr30 (Arsenal), 19. Februar, 20Uhr30 (Colosseum), 20. Februar, 19 Uhr (Delphi)

Christina Tilmann

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