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Kultur: Das Schiff ist auf Kurs

Schule des Sehens: die Berliner Kunst- und Antiquitätenmesse Ars Nobilis

Die Ars Nobilis ist den Kinderschuhen entwachsen. War die Premiere im Jahr 2000 noch ein gewagtes Experiment, so hat sich die Berliner Messe für alte Kunst und Antiquitäten im vierten Jahr fest am Markt etabliert. Davon zeugt schon der Zulauf aus der Branche: Stellten im Vorjahr noch 16 Fachhändler im Automobil Forum Unter den Linden ihr Angebot vor, sind es diesmal mit 26 fast doppelt so viele. Damit der Platz nicht knapp wird, hat man die Fläche auf zwei Etagen erweitert. Auch die Medienresonanz ist im Laufe der Zeit immer umfangreicher geworden, stellt Mitveranstalter Udo Arndt fest: In diesem Jahr haben neben einer lokalen vier nationale Zeitungen der Ars Nobilis lange Artikel gewidmet. Und der RBB strahlte einen Beitrag zur besten Sendezeit aus.

Diese stürmische Aufwärtsentwicklung spiegelt sich im anhaltend großen Publikumsinteresse wieder. 2002 besuchten rund 30 000 Kunstfreunde die Messe. In diesem Herbst dürften es ähnlich viele werden, schätzt Arndt. Am Eröffnungswochenende habe man „Himmel und Hölle“ im Haus gehabt: Viele namhafte Händler und Sammler gaben sich ein Stelldichein. Zugleich strömten zahllose Schaulustige herbei und sorgten für manche Überraschung. So erkundigte sich jemand bei einem Teilnehmer, der einen Bronzehasen ausstellt, ob „der auch von Dürer“ sei: Der Fragende hatte offenbar dessen berühmte Radierung vor Augen. Doch auf der Ars Nobilis muss niemand befürchten, bloßgestellt zu werden. Im Gegenteil: Die fünf Berliner Kunsthändler, welche die Messe organisieren, begreifen sie als „Schule des Sehens“.

Um Interessierten jede Schwellenangst zu nehmen, sind Eintritt und Kurzführer kostenlos. Auch die Ausstellungsarchitektur entspricht dem Credo größtmöglicher Offenheit: Statt abgetrennter Kojen findet man einen verschlungenen Parcours vor, bei dem die einzelnen Stände fließend ineinander übergehen. Die Kunstwerke sind hier großzügig verteilt. Matt dunkelgrüne Raumteiler lassen eher an ein Museum als an eine Messe denken. Dazu passt, dass die Ars Nobilis erstmals mit dem Berliner Stadtmuseum kooperiert, das verschollen geglaubte Skulpturen aus der Nikolaikirche zeigt. Die Besucher können flanieren, Neues kennen lernen und Fragen stellen.

Zu entdecken gibt es reichlich, denn die Veranstalter haben gezielt Kollegen eingeladen, die auf exotische Sammelgebiete spezialisiert sind. Etwa Horst Glass aus Essen: Er ist weltweit der einzige Händler, der sich ausschließlich mit historischen Goldledertapeten beschäftigt. Seine schönsten Stücke füllen ganze Wände. Beispielsweise eine prachtvolle Arbeit aus Amsterdam um 1650: Auf versilbertem Grund zeigt die Goldprägung Motive aus der griechischen Mythologie. Die beiden Paneelen belaufen sich zusammen auf 70 000 Euro. Eine Rokoko-Tapete mit mehrfarbigem Blumenmuster kommt auf 66 000 Euro. Die damaligen Auftraggeber mussten umgerechnet kaum weniger bezahlen, erläutert Glass: Es handelt sich eben um die „teuerste Wandverkleidung der europäischen Wohnkultur“. Kleinere Stücke sind aber schon für rund 3000 Euro zu haben – und fanden bereits mehrere Liebhaber.

Im Gegensatz dazu hat der Berliner Olaf Lemke, der sich einen Stand mit dem Baseler Thomas Knöll teilt, bislang noch kein Objekt abgesetzt. Das stört ihn nicht. In 40 Jahren habe er keinen einzigen Laufkunden erlebt, erzählt Lemke. Kein Wunder: Seine Ware ist extrem erklärungsbedürftig. Knöll und Lemke handeln mit antiken Spiegel- und Bilderrahmen. Dabei restaurieren sie selbst; alle Stücke erhalten ihr ursprüngliches Aussehen wieder. Das hat seinen Preis: Zwei Potsdamer Rahmen aus dem 18. Jahrhundert, die ansonsten praktisch nie als Paar vorkommen, werden für 50 000 Euro abgegeben. Eine Kaufentscheidung, die wohl niemand spontan trifft. Doch Lemke genügt es, zunächst einmal Kontakte zu knüpfen.

Für Schnellentschlossene mit kleinerem Geldbeutel hat der Berliner Ernst von Loesch einen ungewöhnlichen Wandschmuck parat: Dioramen aus Kork, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Mode waren. Dreidimensionale Reliefs in Schaukästen stellen meist bekannte Baudenkmäler dar. Ihr Reiz besteht in der filigranen Ausarbeitung, die so detailverliebt wie fragil ist. Zwei Dutzend dieser seltenen Souvenirs bietet von Loesch zu Preisen zwischen 400 und 2800 Euro an – und konnte bereits zwei Stück verkaufen. Mit ihren Erlösen seien die Teilnehmer angesichts der begrenzten Kaufkraft in Berlin durchaus zufrieden, berichtet Arndt: „Der Kuchen verteilt sich jetzt auf mehr Händler.“ Deswegen solle aber die Ars Nobilis in Zukunft langsamer wachsen: „Eine große Messe mit 100 Ausstellern wie in München wäre hier ein Flop. Wir wollen sehen, dass wir das Schiff auf Kurs halten.“

Ars Nobilis, Automobil Forum, Unter den Linden 21, bis 16. November ; tägl. 10 – 18 Uhr.

Oliver Heilwagen

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