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Kultur: Das Theater und sein Jubel

Eine Berliner Lektion mit Ulrich Khuon

Noch nie, sagt Ulrich Khuon im Tone milden Amüsements, sei er als Theatermacher so euphorisch begrüßt worden wie in Berlin. Was, das weiß er selbst, nur in zweiter Linie an der sprichwörtlichen Herzlichkeit der Hauptstadt liegt.

Khuon, designierter Intendant des Deutschen Theaters ab der Saison 2009/2010, zieht mit dem Nimbus des Erfolgsgaranten ein. Nicht nur hat sein Thalia-Theater in Hamburg ein Abonnement auf die Auszeichnung als Theater des Jahres erworben, nein, bereits Khuons frühe Hanse-Zeit zur Legende – als Ex-Bürgermeister Klaus von Dohnanyi gegen Michael Thalheimers „Liliom“-Inszenierung mit dem Zwischenruf protestierte, dies sei doch ein anständiges Stück, das müsse man doch nicht so spielen. Ein feiner Skandal, auf den auch die „Spiegel“-Redakteurin Claudia Voigt den gebürtigen Stuttgarter Khuon, gestern zu Gast bei den „Berliner Lektionen“ im Renaissance-Theater, nach dessen Vortrag ansprach. Als eigentliche Frage schwebte dabei natürlich im Raum, ob auch in Berlin mit Khuons Amtsantritt wieder ein bürgerliches Protest-Potenzial im Parkett mobilisiert wird?

Khuon, dessen klug-konzentrierte Rede unter dem Titel „Theaterarbeit zwischen Autonomie und sozialer Verbindlichkeit“ stand, ist sicherlich ein Gewinn für die hiesige Theaterlandschaft, weil er den Intendanten-Typ des besonnenen Ermöglichers verkörpert, der die Aufgaben und Möglichkeiten seines Metiers weder über-, noch unterschätzt.

Zunächst streift er in seinem Vortrag die feuilletonistische Geisterdebatte, derzufolge heute ja alles Kultur, und Kultur stets „das absolute Gute“ sei. Ein Kulturbegriff, der, wie Khuon meint, bis zu den Finanzbeamten jedenfalls noch nicht durchgedrungen sei: „Und sie haben ja hier in Berlin einen Finanzsenator, der ein gutes Beispiel dafür abgibt.“

Mit Geld aber gibt er sich nicht lange ab. Sondern markiert das grundsätzliche Dilemma einer Kunstform namens Theater, die einerseits unabhängig sein und sich der Forderung nach Nützlichkeit entziehen, andererseits als gesellschaftlich relevant wahrgenommen werden will. Sich also im Spannungsfeld zwischen „Zweckfreiheit, Vermarktung und Verantwortung“ bewegt. Ein Dilemma, das Khuon als produktiv empfindet: „Die Geburt aus dem Mutterschoß der Abhängigkeit erzeugt erst die Sehnsucht, die alle Kunst beseelt“. Er bringt das mit Gottfried Benn auf die schöne Formel: „Wir sind der Schmerz, nicht die Ärzte“.

Khuon ist Beschwichtiger, Differenzierer, auch Entschleuniger. Dem alten Sloterdijk-Menetekel, wonach die Welt bald nur noch aus durchtrainierten, nomadischen Informationsathleten bestehe, die flexibler seien als die Künstler und sogar „auf der Beziehungsebene mehr hinter sich gebracht“ hätten (Khuon: „Schön wär’s!“), setzt er das Bekenntnis zum Theater als lokalem Akteur entgegen. Und schließlich widmet sich Khuon der Frage, ob uns die großen Konflikte abhanden gekommen seien, wovon das Theater heute überhaupt erzählen solle – in einer Zeit, da der Mensch 250 Jahre alt werden müsste, um alle Songs zu hören, die auf seinen iPod passen? Darin liegt, grob vereinfacht, auch schon die Antwort: Das Theater heute erzählt von der individuellen Krise.

Jetzt wird es grundsätzlich, aber man folgt Khuon gern, selbst wenn er das Theater als geistiges Kieser-Training empfiehlt – und damit glaubhaft wirkt. Nicht zuletzt, weil er seine Erfolgsgeschichte im Rücken hat.

Patrick Wildermann

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