zum Hauptinhalt

Kultur: Das Verhalten bestimmt die Verhältnisse

„Bella, Boss und Bulli“ im Berliner Grips-Theater

Mehr als das normale Leben braucht Volker Ludwigs Klassiker für Menschen ab sechs Jahren nicht. Es geht nicht um spektakuläre Ereignisse, sondern um drei Einzelkinder, die sich von ihren Eltern unverstanden, vernachlässigt oder ungeliebt fühlen. Natürlich haben sie dabei nicht immer recht, schon gar nicht im Grips-Theater. Schuld sind nicht einfach die böse Gesellschaft oder die fiesen Erwachsenen, auch nicht die schlimmen Verhältnisse. Es geht überhaupt gar nicht um Schuld, sondern um das Verhalten des Einzelnen: um Ehrlichkeit und Feigheit, Mut, Offenheit, Freundlichkeit.

Bella musste mit ihrer allein erziehenden, berufstätigen Mutter umziehen. In der neuen Schule trifft sie auf Boss, dessen reiche Eltern ihn vom Chauffeur mit dem Mercedes von der Schule abholen lassen, und auf Bulli, der mit Kampfsportgesten Imponiergehabe zeigt. In Wirklichkeit aber hat er vor seinem Vater und einem älteren Jungen Angst. Der erpresst ihn, weshalb Bulli klaut und auch Boss um Geld erleichtert. Die Kinder, die sich anfangs voneinander nicht sonderlich angezogen fühlen, finden zusammen, wenn auch unter Schwierigkeiten.

Es ist ein Lernstück, aber kein Lehrstück. Die Neuinszenierung stammt von Thomas Ahrens, wie bereits 1995 die Uraufführung. Das Stück ist zeitlos, aktuell. Die Beziehungen sind wunderbar genau ausgearbeitet, und große Komik erwächst nicht nur aus vielen Slapsticksituationen, sondern auch aus den kleinen inneren Gefühlen und Haltungen. Die Inszenierung besitzt enormen, aber nie überdrehten Schwung. Birger Heymanns Lieder, von Quetschkommode und Gitarre begleitet, kommen lebhaft und witzig daher, und die Bühne wurde von Mathias Fischer-Dieskau mit einer faltbaren Wechsel-Wand und wenigen Requisiten so ästhetisch ansprechend wie spielpraktisch eingerichtet.

Nadine Warmuth ist als Bella so niedlich, patent und aufmüpfig, wie es Grips-Heldinnen nun mal immer sind. Eine Sympathieträgerin im bunten Pippi-Langstrumpf-Outfit, die Markus Friedmanns Bulli, der hinter seinen Posen stets die Ängstlichkeit und Verletzlichkeit des Jungen aufscheinen lässt, mächtig in Bewegung setzt. In der Rolle des Boss, in der einst Axel Prahl brillierte, steht ihm Mathias Schlung nicht nach. Wie Schlung das bebrillte Strebergesicht von Boss voll ängstlicher Anstrengung zerknautschen kann, wie er gelegentlich aus seiner linkischen Verdruckstheit ausbricht, wie er einfach mal „Kackmist“ sagt. Das realistische Gegenwartstheater findet in Berlin immer wieder am Grips statt.

Wieder heute und morgen und am 19. sowie vom 20. bis 22. Februar.

Hartmut Krug

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false