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Kultur: Das Verschweigen

Szenen einer Ehe: Julian Fellowes „Geliebte Lügen“ – mit Rupert Everett und Emily Watson

Sie ist unglaublich. Weil man ihr einfach alles glaubt. Jede Rolle, in die sie schlüpft, jeden Charakter, den sie verkörpert, nimmt man ihr ab. Die Britin Emily Watson hat sich als naiver Engel Bess mit Lars von Triers „Breaking the Waves“ unauslöschlich ins Cineastenhirn eingebrannt und brilliert nun in Julian Fellowes Regiedebüt „Geliebte Lügen“. Sie spielt den weiblichen Part eines Ehepaars aus der britischen Oberschicht, dessen scheinbar perfektes Leben sich in einem moralischen Irrgarten aus Lügen und Halbwahrheiten verliert. Souverän, in Burberry-Jacke und mit geföntem Blondhaar verkörpert Watson die Anwaltsgattin – auch in dieser Rolle mit dem ihr eigenen neugierig-weisen Kulleraugenblick, der es vermag, selbst das Augenscheinlichste in Frage zu stellen.

Die Mannings führen das, was man gern ein Bilderbuchleben nennt. James ist erfolgreicher Anwalt in London City, Anne bedeutend jünger als er, gescheit und charmant, und am Wochenende wird auf dem Landsitz Cricket gespielt. Es sind Szenen einer Ehe, die Fellowes mit einer feinen Note Suspense unterlegt. Denn nach einer Gartenparty betrügt Anne nicht nur ihren Ehemann mit dem Nachbarn Bill (Rupert Everett, der ewige Dandy), sondern fährt angetrunken mit dessen Wagen auch den Mann ihrer Haushälterin zu Tode. Anschließend begeht sie Fahrerflucht. Aus Liebe und Angst vor peinlichen Enthüllungen deckt James sowohl den Unfall als auch die Affäre seiner Frau: der Auftakt einer verhängnisvollen ménage à trois.

Wo das irrationalste aller Motive, die Liebe, im Einsatz ist, entbehrt das Mitgefangen-Mitgehangen jeder Harmlosigkeit. Der kategorische Imperativ als allgemeingültige Handlungsmaxime ist außer Kraft gesetzt, und die drei Protagonisten taumeln durch ein Gespinst aus Notlügen, schwankenden Gefühlen und eigenem Wunschdenken. Eine conditio humana der faulen Kompromisse.

In eindringlichen, unaufgeregten Bildern seziert Fellowes eine Ehe, und mit der Präzision eines Skalpells löst der Film eine Schicht nach der anderen, um zur Wahrheit vorzudringen. Die Figuren dürfen dabei immer abwägen: Liebe und Träume gegen Konventionen und Prestige. Dennoch sind ihre Beweggründe nie eindimensional.

James denkt an seinen sozialen Status und liebt doch wirklich, Anne ist zermürbt von ihrer Schuld und ihren Träumen – und die Vorstellung, außerhalb jeglicher Konventionen existieren zu können, erkennen beide gleichermaßen als Illusion. So wird der Film des Oscar-Preisträgers – Fellowes bekam den Preis fürs Drehbuch zu Robert Altmans Krimisatire „Gosford Park“ – zum sensiblen Beziehungsdrama mit Thrillerkomponente ganz ohne Klischees. Die Dialoge sind mitunter so wahrhaftig, dass man meinen könnte, Ingmar Bergman habe Fellowes beim Skript über die Schulter geschaut und ihm wohlwollend zugezwinkert. Die hervorragenden Darsteller tun ihr übriges. Tom Wilkinson in der Rolle des James besteht neben Watson, wie er in „In the Bedroom“ als Ehemann der grandiosen Sissy Spacek bestand – sicherlich nicht die leichteste Übung.

Das Dilemma zwischen Moral und Gefühlen wird in „Geliebte Lügen“ so vielschichtig und nachvollziehbar gezeigt, dass man sich scheut, ein irgendwie geartetes Urteil über die drei handelnden Charaktere und deren Standpunkte zu fällen oder sich gar auf eine Seite zu schlagen. Auch wenn das Milieu des Films very british sein mag: Moralische Zwickmühlen sind universeller Natur.

FT Friedrichshain, Kant, Cinestar SonyCenter (OV)

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