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Kultur: "Das Versprechen": Die Reise ins Licht

Der Gegensatz könnte kaum größer sein: draußen weite Schneeflächen bis zum Horizont, gelegentlich ein Baum, dessen kahle Äste sich dem tief hängenden Himmel entgegen recken, Stille; drinnen, ganz woanders, ist es laut, schwül und bunt. Dort feiern Dutzende von Menschen zwischen Bast- und Blumendekorationen eine Hawaii-Party, bunte Drinks, lustige Hütchen und Witzeleien inbegriffen.

Der Gegensatz könnte kaum größer sein: draußen weite Schneeflächen bis zum Horizont, gelegentlich ein Baum, dessen kahle Äste sich dem tief hängenden Himmel entgegen recken, Stille; drinnen, ganz woanders, ist es laut, schwül und bunt. Dort feiern Dutzende von Menschen zwischen Bast- und Blumendekorationen eine Hawaii-Party, bunte Drinks, lustige Hütchen und Witzeleien inbegriffen.

Mit einer Parallelmontage eröffnet Sean Penn seine über weite Strecken sehr gelungene Dürrenmatt-Adaption, die gleichzeitig ein ziemlich sorgfältiges Remake einer Schweizer Produktion von 1958 ist, "Es geschah am hellichten Tag". Und sie hat eine geradezu programmatische Funktion - als deutlicher Hinweis auf die mathematische Definition der parallelen Linien, die sich allenfalls im Unendlichen schneiden.

In "The Pledge" sind es die Lebenslinien des frisch pensionierten Polizeibeamten Jerry Black (Jack Nicholson) und des Kindermörders, dem er auf der Spur zu sein glaubt. An seinem letzten Arbeitstag wurde im Schnee ein totes Mädchen gefunden, und Jerry Black hat den Eltern versprochen, den Täter zu stellen. Offiziell übernimmt ein jüngerer Kollege den Fall, der einem festgenommenen, geistig behinderten Indianer schnell ein Geständnis abpresst. Kurz darauf bemächtigt sich der Delinquent der Pistole eines seiner Bewacher und schießt sich in den Kopf. Jerry Black aber ist diese Lösung zu einfach; und er stellt eigene Recherchen an - zuerst mit, dann ohne Deckung des Polizeichefs.

Schnell glaubt Black, der ein Leben ohne Polizeiarbeit nicht kennt, Indizien dafür gefunden zu haben, dass der Mörder ein Täter ist, der bereits seit Jahren kleine Mädchen umbringt. Die Verknüpfung der drei letzten Fälle bringt ihn in ein unwirtliches Bergkaff, wo er sich sogar häuslich einrichtet und die Kellnerin Lori (Robin Wright Penn) und deren Tochter kennen lernt. Mit den beiden scheint er ein spätes Patchwork-Famlienglück gefunden zu haben. Aber es hält nur kurz: Die Suche nach dem frei herumlaufenden Kindermörder ist ihm längst zur Obsession geworden, für die er alles aufzugeben bereit ist.

Sean Penns Entwurf vom ländlichen, weißen Mittelwesten ist trist und kalt, ort- und zeitlos. Diners und Reklametafeln aus mehreren Jahrzehnten, regionale Paraden und Tankstellenläden, Kuhherden auf der Straße und Holzkirchen konstituieren ein altmodisches Amerika, in dem die Männer karierte Flanellhemden und Jeans, die Frauen Lockenwickler tragen und alle zusammen am liebsten stets Rühreier mit Schinken essen sollten. Darsteller mit Outdoor-Image - Harry Dean Stanton, Sam Shepard, Mickey Rourke, die kurze Auftritte haben - personifizieren das Bild dieser heilen, archaischen Welt. Aber das Licht ist entweder zu hell oder zu dunkel - und so stellt sich ein sehr gebrochenes, unheimeliges Americana-Gefühl ein (Penns Film ist unbedingt zu diesem Genre zu zählen).

Konsequent und in vielen Szenen an Fassbinders Nabokov-Adaption "Despair" erinnernd, beschreibt Penn den Weg des formal abgemusterten Polizisten als Reise ins Licht, das heißt, in den Wahnsinn. Der in diesem Film sehr diszipliniert agierende Jack Nicholson verkörpert diese Figur als Borderliner. Gesund und vital ist sein Widerstand gegen die Aussortierung, gegen die jungen, glatten, urbanen Typen, die überall die Macht übernehmen; auch sein Beharren auf den Untersuchungsmethoden des Rechtsstaats gehört dazu. Aber er weiß sich ihnen gegenüber nicht zu verhalten und wurde wohl schon zuvor deshalb gerade so lange ernst genommen, wie seine Position es verlangte. Jetzt ist er, Kette rauchend, allein lebend, wunderlich, kaum mehr erträglich, außer für eine Frau, die noch Schlimmeres kennt. Und für ein kleines Mädchen, das nun in einem roten Kleid steckt und auf einen Zauberer im schwarzen Anzug wartet, der ihm Igel versprochen hat.

Dass er sich zwanghaft an das Versprechen hält, das er einmal gegeben hat, obwohl niemand es mehr von ihm verlangt, ist pathologische Verblendung: Am Ende ist es so hell in den Bergen im Herbst, dass Jerry Black vergeblich die Augen mit der Hand beschirmt. War da ein brennender Wagen, aus dem ein Mann in Schwarz nicht mehr entkommen konnte?

Sean Penn erzählt eine Geschichte vom Verbrechen als Obsession. Sie beherrscht vielleicht den Täter, aber mehr noch dessen Verfolger - als Verweis auf die kaum sichtbare Grenze, die Polizisten und Verbrecher voneinander trennt. Auch in dieser Hinsicht ist Jerry Black ein Borderliner.

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