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Wirtschaftswunderzeit. Richters Gemälde mit dem Hüttenwerk Rheinhausen von 1962 war eine Auftragsarbeit.

© Bassenge

Gerhard Richter: Das verstoßene Bild

Frau Z. kaufte ein Gemälde für wenig Geld. Heute weiß sie: Es ist ein echter Gerhard Richter. Und er wird an diesem Sonnabend in Berlin versteigert. Eine Reportage ins Innere der Kunstwelt.

Das Bild hängt wieder über dem Esstisch, und Frau Z. ringt mit sich, ob es dort bleiben soll. Weil alles so ungewöhnlich ist. Das Bild und seine Geschichte. Irgendwann zu Beginn des Jahrtausends hatte sie es gekauft, es waren noch D- Mark-Zeiten. Wie viel sie bezahlt hat? „Keine Ahnung, vielleicht zwei-, dreihundert.“ Erst jetzt weiß sie: Es ist ein frühes Gemälde von Gerhard Richter, dem größten deutschen Maler der Gegenwart, der „Guardian“ nennt ihn den „Picasso des 21. Jahrhunderts“. Und sie weiß auch: Das Bild zeigt das Hüttenwerk Rheinhausen.

Frau Z. hat sich entschieden: Am heutigen 1. Dezember steht das Bild in Berlin zur Auktion. Aber, und das ist der zweite Teil der Geschichte: Es ist kein normaler Richter, sondern ein neu entdecktes Werk aus der Frühphase des Meisters. Richter erkennt die Urheberschaft an, verweigert jedoch die Aufnahme in den Werkkatalog, sprich: die eigene offizielle Anerkennung. Zur Versteigerung steht die verstoßene Kreation eines Genies.

Frau Z. führt eine Galerie an der Hamburger Peripherie, sie mag ihren Namen nicht nennen. Sie hat auch lange überlegt, ob sie reden will, sie fürchtet die Missgunst der anderen. Am Ende aber siegt die Freude daran, die Geschichte zu erzählen. Eine Geschichte wie die vom millionenschweren Erbonkel aus Amerika oder von der Ölquelle im Garten. Diese hier handelt vom vermeintlich wertlosen Ölschinken über dem Esstisch, den in Wahrheit ein Jahrhundertkünstler gemalt hat.

Um die Jahrtausendwende arbeitet Frau Z. als Handwerkerin. In ihr Geschäft kommen öfter Leute, die etwas zu verkaufen haben. Inzwischen denkt sie oft darüber nach, wer ihr damals diese düstere Industrielandschaft vor dem träge dahinfließenden Fluss mit den dunklen Kähnen angeboten hat. Sie kann sich nicht mal mehr an das Gesicht erinnern. Für wertvoll hielt sie das Bild nicht, „aber das Motiv gefiel mir“. Sie hätte gern mehr über ihre Neuerwerbung erfahren, aber das Internet ist noch eine quälend langsame Veranstaltung. Und an Gerhard Richter hätte sie bei ihrer Industrielandschaft im Leben nicht gedacht. Also hängt sie das Bild für ein paar Wochen über den Esstisch, dann wandert es in die Diele, staubt ein.

Bis im Juni 2012 ein Freund fragt, ob Frau Z. mit einem Gemälde für seine Geschäftsräume aushelfen könne. Kaum holt sie das Werk aus der Ecke, verliebt sie sich sofort wieder in die Stimmung des Bildes, die eigentümliche Aura rund um die Kähne, die Schlote, den Fluss. Sie sagt dem Freund, dass sie sich nicht trennen mag.

Vor zwei Jahren hat sie die Richter-Ausstellung im Hamburger Bucerius-Forum besucht. „Ein großartiges Erlebnis, fabelhafte Bilder. Der Mann ist ein Genie!“ Ihr dämmerte trotzdem noch nichts, auch nicht, als sie auf der Rückseite ihres Bildes eine handschriftliche Adresse findet: „Gerd Richter, Hüttenstraße 71, Düsseldorf“, dazu eine Jahresangabe: (19)62. Gerd ist nicht Gerhard und Richter ein Allerweltsname – beim Kauf hatte sie sich für diese Details nicht weiter interessiert. Nun, nach der Anfrage des Freundes, forscht sie wieder im Internet nach. Als sie entdeckt, dass Richter sich bis weit in die Sechziger Gerd nannte, wird ihr ganz anders. Erst recht, als sie erfährt, wie Richter in frühen Jahren signierte: Er ritzte unauffällig in die Leinwand. Frau Z. rennt zum Bild, unten rechts findet sie den Namenszug „G. Richter“. „Und da“, sie formuliert es malerisch, „ist mir die Farbe aus dem Gesicht gefallen.“

Frau Z. fotografiert die Industrielandschaft und mailt das Bild an Dietmar Elger, der in Dresden das Gerhard-RichterArchiv betreut und Assistent des Malers war. Schon nach einer halben Stunde antwortet er: Er hat das Foto an Richter weitergeleitet und wird von sich hören lassen. Als Frau Z. Tage später ihre Neugier nicht mehr zügeln kann, sagt Elger am Telefon: Ja, der Meister könne sich erinnern, an das Bild damals in Düsseldorf, kurz nach seinem Weggang aus Dresden. Aber das waren andere Zeiten, eine Phase der künstlerischen Orientierungssuche, deshalb kann eine Aufnahme in den offiziellen Werkkatalog leider, leider nicht erfolgen. Es wäre aber sehr schön, wenn er für das Dresdener Archiv eine Fotografie anfertigen dürfe.

Gerhard Richter

© dpa

Ein Werk mit Zwitteridentität: Einerseits stammt das Bild zweifelsfrei von der Hand des Meisters, andererseits akzeptiert er es nicht mehr. Typisch Gerhard Richter, ist der gebürtige Dresdner doch berühmt für den Rigorismus, mit dem er sein Werkverzeichnis drastisch bereinigt und auch die Arbeiten aus der Zeit vor seinem Weggang aus der DDR nicht gelten lässt. 1962, da war er 30, verbrannte Richter im Hof der Düsseldorfer Akademie einen Großteil seiner frühen Bilder zusammen mit Ateliermüll. Dem Autodafé fielen mindestens 60 Werke zum Opfer. Die Industrielandschaft aber entkam.

Es war ein Auftragswerk, sagt Dietmar Elger. Der Maler könne sich noch gut erinnern. Ein Freund hatte den Künstler gebeten, das Motiv aus einem Fotoband für ihn abzumalen. Richter war jung, brauchte immer wieder Geldjobs. So fertigte er für den Düsseldorfer Karnevalverein auch Pappmascheefiguren für die Umzugswagen an.

Ist das Auftragsbild Kunst? „Die Karnevalsfiguren gelten auch nicht als RichterSkulpturen“, wiegelt Elger ab. Doch vermutlich würden auch sie heute Liebhaber finden, wenn schon von Richter signierte Kataloge und Postkarten als begehrte Sammelware im Internet kursieren. Die Preissteigerungen anerkannter Richter-Werke sind ohnehin spektakulär. Was er einst für wenige hundert Mark verkaufte, bringt heute Millionen.

Also was fängt man an mit einem verstoßenen Gemälde? Frau Z. hängt das Bild wieder über den Esstisch, überlegt hin und her. Einerseits ist es ein echter Richter. Wen wird es in Zukunft interessieren, ob der Meister es mochte? Erst vor ein paar Wochen wurde in London das „Porträt eines bescheidenen Kastiliers“ versteigert, ein Werk des 13-jährigen Pablo Picasso. Der späte Picasso dürfte auf das Kinderbild nicht gerade stolz gewesen sein, bei Christie’s kam es für knapp drei Millionen Euro unter den Hammer. Andererseits will Frau Z. bald in Urlaub fahren und fürchtet Einbrecher in ihrer Abwesenheit. „In 99 Prozent aller Fälle nehmen die den Fernseher mit“, aber wenn sie sich zufällig für das Bild überm Esstisch interessieren, „dann ärgere ich mich doch bis in alle Ewigkeit!“ Sie liebt das Bild, aber sie will es nicht länger im Haus haben.

Die Familie nimmt Kontakt zu Galerien auf, plötzlich interessieren sich erste Adressen des Kunstmarkts für sie. Ein Londoner Auktionshaus taxiert den Wert auf 250 000 Euro, aber das ist nicht ihre Welt. „Da bekommen Sie einen englischen Vertrag und haben es mit Leuten zu tun, die sie nicht kennen.“ An diesem Punkt kommt die Berliner Galerie Bassenge ins Spiel. Ein familiäres Unternehmen, das auf dem regionalen Markt eine Rolle spielt, Frau Z. hat schon öfter Geschäfte mit Bassenge abgewickelt. Sie vertraut den Menschen dort. Sie packt ihren Richter ins Auto und fährt nach Berlin.

Bei Bassenge sind sie begeistert. Das Werk zeigt bereits jene Verwischungen, wie sie später in der realistischen Phase Gerhard Richters typisch werden sollten. Schon damals übernahm er seine Motive gern aus Vorlagen. Tatsächlich stößt eine Mitarbeiterin bei ihren Recherchen auf eine Postkarte aus den frühen Sechzigern, die das Hüttenwerk Rheinhausen bei Duisburg zeigt. Die Kähne, die Schlote, das nächtliche Licht. Alles passt.

Rheinhausen also: Das Hüttenwerk war einer der wichtigsten Standorte der Krupp AG und der jungen Bundesrepublik. Vor bald 20 Jahren wurde das Werk geschlossen, das markante Gebäudeensemble ist längst abgerissen. Dank der Neuentdeckung des Richter-Bilds erfährt der Ort nun eine späte Würdigung. Unter dem Titel „Rheinhausen“ ist die 70 mal 110 Zentimeter große Industrielandschaft die Hauptattraktion der Herbstauktion von Bassenge, der 100. in der Geschichte des 50-jährigen Berliner Auktionshauses. Ein Jubiläumsgeschenk also. Wie bei Starbildern einer Auktion üblich, hat man eigens einen Sonderkatalog gedruckt. Die Hoffnungen fliegen hoch.

Die ersten Bieter haben sich bereits gemeldet, erzählt Jörg Maaß von Bassenge. Vier Telefone werden am Samstagnachmittag besetzt sein, um die Gebote anonym in den Saal weiterzuleiten. Ansonsten hält sich die Richter-Gemeinde zurück. „Die lassen sich ungern in die Karten gucken“, weiß Maaß. Er kennt das. Je interessanter ein Angebot, desto später melden sich die Bieter. So viel ist sicher: Der Preis des Bildes wird nicht unter dessen Taxierung bleiben. Frau Z. wird sich von ihrem Richter verabschieden müssen.

Bei der Auktion in Grunewald wird sie diskret in den hinteren Reihen Platz nehmen, wo keiner sie kennt. Was sie erwartet? Die Erfahrungswerte mit verstoßenen Werken lebender Genies sind begrenzt. Bassenge hat einen Einstiegspreis von 150 000 Euro angesetzt, aber wenn sich zwei schwerreiche Richter-Fans gegenseitig hochbieten, kann es leicht über eine Million werden.

Klar, Frau Z. freut sich auf das viele Geld, aber wehmütig ist ihr doch. Da hatte sie jahrelang einen echten Richter zu Hause und wusste es nicht. Vielleicht kauft sie sich ja einen Druck von Richters „Schweizer Alpen“ und hängt ihn über den Esstisch. Sie ringt noch mit sich.

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