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Kultur: Das Volk der güldenen Becher

Die Bundeskunsthalle Bonn widmet sich in einer prächtigen Ausstellung der rätselhaften Kultur der Thraker

Orpheus und Spartacus sind die berühmtesten Thraker. Sie repräsentieren aufs vollkommenste die beiden Pole, zwischen denen sich die Geschichte dieser untergegangenen, bis heute rätselhaft gebliebenen Kultur abspielte: Kunst und Krieg. Orpheus, der mythische Sänger und Erfinder der Kithara, soll mit seiner Musik Tiere, Bäume, ja Steine zum Erweichen gebracht haben. Spartacus dagegen, der furchtlose Gladiator, wurde als Anführer des Sklavenaufstandes gegen das römische Heer (74–71 v. Chr.) zur viel besungenen und verfilmten Legende.

Nach den Indern waren die Thraker Jahrtausende lang das größte Volk der Antike. Sie besiedelten Südosteuropa und Teile Kleinasiens. Ihr Kernland war das heutige Bulgarien. Im Austausch mit Griechen, Persern, Skythen, Kelten, Römern, Ägyptern wuchs ihre Kultur, wurde ihr Land zur Drehscheibe und zum Einfallstor Europas. Die Thraker haben keine schriftlichen Überlieferungen hinterlassen, abgesehen von Votivinschriften, die zwar in thrakischer Sprache, aber lateinischen oder griechischen Buchstaben verfasst waren. Aufgrund ihres esoterisch-verschlossenen Geisteslebens, das beherrscht wurde von dionysisch geprägter Geheimbund-Religiosität, voller Mysterien, orgiastischer Kulte und Rituale, kann man wohl davon ausgehen, dass die Entscheidung der Thraker gegen Schrift und schriftliche Fixierung ihrer Existenz bewusst getroffen wurde.

Alles, was wir über die Thraker wissen, verdanken wir ihrem Unsterblichkeitsglauben – mit seinen rituellen Gaben an die Götter und den luxuriösen Grabbeigaben für Könige und Fürsten, die durch systematische archäologische Forschung und Zufallsfunde allmählich ans Licht kommen – und den Griechen. Die früheste Kunde über die Thraker stammt von Homer, der sie in der „Ilias“ als Verbündete der Trojaner gegen Agamemnons Heer für die Qualität ihrer Kriegskunst und Waffentechnik lobt. Herodot schreibt in den „Historien“ über das nach außen stets siegreiche, im Innern aber heillos zerstrittene Volk, das aus nicht weniger als 90 verschiedenen Stämmen bestand. Er berichtet auch über barbarische Sitten wie Vielweiberei, den Verkauf der eigenen Kinder in fremde Länder, Witwentötungen und eine beunruhigende Umkehr der Gefühle: Während nämlich die Geburt eines Kindes Klagen hervorrufe, würden die Toten „unter Lachen und Scherzen“ begraben.

Nach 30 Jahren Thraker-Ausstellungen rund um die Welt versucht nun die Bonner Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik – die in den vergangenen Jahren zahlreiche hochkarätige Ausstellungen zur Kulturgeschichte gezeigt hat –, in der opulent inszenierten Schau „Die Thraker. Das goldene Reich des Orpheus“ neue Akzente zu setzen, indem die prachtvollen Gold- und Silberschätze in einen umfassenden kulturellen Zusammenhang gestellt werden. Er reicht von der frühen Jungsteinzeit (ab 7000 v. Chr.) bis ins 2. Jahrhundert n. Chr., die römische Zeit also, unmittelbar vor der einsetzenden Christianisierung.

Die erste große Thraker-Ausstellung, 1974 im Pariser Petit Palais, war noch ganz auf „Das Gold der Thraker“ fokussiert. Die Goldfunde von Valcitran (14./13. Jhdt.v.Chr.) und Panagjriste (4./3. Jhdt.v.Chr.), aber auch der Silberschatzfund von Borovo (4. Jhdt.v.Chr.) gehören zweifellos zu den spektakulärsten archäologischen Funden überhaupt.

In Bonn hingegen hat eine noch immer weitgehend unbekannte Hochkultur ihren Auftritt, die über eine enorme Bandbreite an importierten und anverwandelten Stilen verfügt, bedenkenlos Hybridformen erschuf, aber auch ganz Eigenes zu schaffen in der Lage war. Der Projektleiter der Ausstellung, Kai Heymer, erkennt in der thrakischen Kunst sogar eine Art „Postmoderne der Antike“. Nahezu 3000 Objekte aus acht Jahrhunderten sind versammelt. Besonderen Raum nimmt das bulgarisch-deutsche Ausgrabungsprojekt von Drama ein, wo der Kulturwandel vor allem des thrakischen Alltags in der neolithischen, kupfer-, bronze- und eisenzeitlichen Entwicklung erforscht wird. In Drama wurde eine vollständige Siedlung ausgegraben, auf der anschließend eine Kultanlage errichtet worden war. Zahlreiche Ton-, Stein, Eisen- und Bronzefunde geben Zeugnis von der Größe der Siedlungen, dem Aussehen von Häusern und Hausrat und den wirtschaftlichen Grundlagen. Erstmals in Deutschland wird die Reproduktion eines erst vor wenigen Jahren entdeckten Wandfrieses mit rituellen Jagdszenen aus der Grabkammer von Aleksandrovo (4. Jh. v. Chr.) gezeigt, die ein Licht auf die – nur wenigen vorbehaltenen – bildsprachlichen Verständigungsmuster der Thraker werfen.

Eine derartige Materialfülle kann vom Zuschauer nur bewältigt werden, wenn er ein gut funktionierendes Navigationssystem zur Verfügung hat. Die Austellungsmacher haben durch die intelligente Gruppierung der Objekte und die Einteilung in drei historische und vier thematische, jeweils sehr gut eingeführte Kapitel, vor allem aber durch eine übersichtliche Architektur von blassblau ausgemalten Schaukästen und ansteigenden Podien (Paolo Martellotti) eine wunderbar kontemplative Atmosphäre geschaffen.

Die Bonner Thraker-Ausstellung wurde in einer Rekordzeit von nur neun Monaten auf die Beine gestellt. Zur Eröffnung kamen der bulgarische Präsident Georgi Parvanos und der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Peer Steinbrück – großer Bahnhof für Bonn.

Bundeskunsthalle Bonn, bis 28. November. Katalog (384 S., zahlr. Abb.) 25 €. – Ein Film zur Ausstellung wird am 8. August um 18:30 Uhr von 3sat ausgestrahlt.

Sabine Heymann

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