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Kultur: Das weibliche Preußen

Als Kurfürstin Sophie Charlotte 1694 das Sommerschloß Caputh an ihren Ehemann, den Kurfürsten Friedrich III., zurückgab, suchte sie einen neuen Ort für ein Lustschloß - gut erreichbar bei der Hauptstadt gelegen, möglichst nahe am Wasser und in einer angenehmen landschaftlichen Lage.

Als Kurfürstin Sophie Charlotte 1694 das Sommerschloß Caputh an ihren Ehemann, den Kurfürsten Friedrich III., zurückgab, suchte sie einen neuen Ort für ein Lustschloß - gut erreichbar bei der Hauptstadt gelegen, möglichst nahe am Wasser und in einer angenehmen landschaftlichen Lage. Die Wahl fiel auf das Dorf Lietzow, wo im folgenden Jahr die Bauarbeiten begannen und am 11. Juli 1699 die Einweihung des Schlosses gefeiert wurde. Sophie Charlottes Kriterien - die Nähe zu Berlin und zur Spree - haben die Geschichte des Charlottenburger Schlosses seitdem bestimmt.

Charlottenburg ist nicht nur vom Gegensatz zwischen Hauptstadt und Umland, Zentrum und Peripherie geprägt - aufmerksame Besucher werden im Schloß auch immer neue Varianten im Umgang mit der Macht entdecken können. Das Lietzenburg Sophie Charlottes - erst nach ihrem Tod 1705 erhielt das Schloß seinen heutigen Namen - drückte ein durchaus ambivalentes Verhältnis zur Macht aus. Die Entfernung von Berlin bedeutete für Sophie Charlotte auch Unabhängigkeit vom Hof ihres Mannes - ähnlich wie später Friedrich II. der Abstand seiner Charlottenburger Residenz zum Berlin des Soldatenkönigs so wichtig war.

Die Kostbarkeit von Sophie Charlottes Lustschloß zeigt dagegen jene Aspekte der Macht, die sie gerne nutzte. Ihre Art der Selbstdarstellung und ihre Umgebung waren unkonventionell, leicht und - in gewissen Grenzen - frei. Erst unmittelbar nach der Krönung ihres Mannes zum ersten König in Preußen 1701 setzte der Umbau dieses Lusthauses zum Königsschloß ein. Den Gegensatz zwischen dem Schloß der Kurfürstin und dem Charlottenburg Friedrichs I. kann man heute noch gut nachvollziehen, wenn man aus den Räumen der "zweiten Wohnung Sophie Charlottes" in die Repräsentationsräume der Gartenseite tritt. Beide stammen aus der Umbauphase nach 1701, doch zeigen Sophie Charlottes Wohnräume eine Eleganz und Intimität, die der Atmosphäre ihres Kreises entsprechen.

Architektur, Malerei und Skulptur lassen sich konservieren. Musik und Philosophie, die Kunst der Konversation, die in diesen Räumen gepflegt wurden, sind verklungen. Zwar ist das barocke Hofleben heute nicht mehr wirklich vorstellbar, doch seine Bühne ist noch vorhanden. So wird sich die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg in der Ausstellung zum 300jährigen Jubiläum des Schlosses Ende des Jahres auf die Künste am Hofe Sophie Charlottes konzentrieren.

Gerade wegen der informellen, geistreichen und häufig respektlosen Atmosphäre des "Musenhofes" hatte auch Friedrich II. eine besondere Affinität zu seiner Großmutter. Der von ihm so bitter empfundene Gegensatz zwischen Menschlichkeit und Armee, zwischen Kunst und Macht ließ sich gut in Sophie Charlottes Beziehung zu Friedrich I. projizieren. Und war Voltaire nicht des Enkels neuer Leibniz ? So erklärt es sich, daß Friedrich II. als König zunächst zum Lieblingsort seiner Großmutter zog und den Neuen Flügel als Königsresidenz erbauen ließ. Auch seine spätere Vorliebe für unstandesgemäße Erdgeschoßwohnungen wie im Potsdamer Schloß Sanssouci und im Neuen Palais mag auf Sophie Charlottes Räume in Lietzenburg zurückgehen.

Am Ende des 18. Jahrhunderts betrat die zweite "Hausheilige" des Schlosses die Bühne - im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin verdient Königin Luise diese Einordnung in eine typisch weibliche Rolle. Schinkels Schlafzimmer der Königin erreicht innerhalb ihrer eher anspruchslosen Hofhaltung ein Pathos, das den Mythos aushält. Es verwundert nicht, daß im 19. Jahrhundert keine Anzeichen eines Sophie-Charlotte-Kultes zu beobachten sind, während Luise in quasi-religiöser Weise als Madonna verehrt wurde. Denn während Luise das Frauenideal der Zeit in fast idealtypischer Weise verkörpern konnte, waren die Spuren intellektuellen Selbstbewußtseins bei Sophie Charlotte nicht zu tilgen. Ihr konnte deshalb nur als Namensgeberin Charlottenburgs eine identitätsstiftende Rolle zugeschrieben werden.

Nach Zusammenbruch und Befreiung entkam das Schloß Charlottenburg als einzige Berliner Hohenzollernresidenz schwerstens beschädigt der endgültigen Zerstörung. Den Kampf der ersten Nachkriegsdirektorin Margarete Kühn um das Schloß ist bekannt. Es muß aber auch in Erinnerung gerufen werden, daß Charlottenburg deshalb dem Abriß entkam, weil man nach der Sprengung des Berliner Schlosses auf den entstehenden anderen deutschen Staat hinweisen konnte. So stand Charlottenburgs Schicksal einige Zeit auf Messers Schneide. Die Rettung des Schlosses: auch ein Geschenk des Kalten Krieges.

Den Wissenschaftlern, die den Wiederaufbau begannen, war dieser Konflikt natürlich gegenwärtig. So wurde Charlottenburg als Ort der Kunst wiederaufgebaut, nicht als Ort der Macht: Das Alte Schloß wurde zum "Nering-Eosander-Bau", der Neue Flügel zum "KnobelsdorffFlügel", die Ära der Königin Luise zur "Schinkel-Zeit".

Sophie Charlotte erhielt in dieser Situation eine neue Bedeutung. Sie verkörperte das "andere Preußen", geistreich, weiblich und mit einem Gefühl für menschliche Größenordnungen. Das Porträt der Königin wanderte jetzt in das Zentrum der Ahnengalerie, dorthin, wo vorher die Darstellung Friedrichs I. gehangen hatte. Sophie Charlotte und Leibniz, das barocke Interesse am Orient wurden zu Themen von Ausstellungen, die diese Epoche ins Bewußtsein riefen.

Die Jubiläumsausstellung, die am 5. November eröffnet werden wird, teilt diese Vorstellung von der besonderen Bedeutung Sophie Charlottes. Doch sie will auch Fragen stellen, die sich erst in den vergangenen Jahrzehnten herausgebildet haben. Wenn eine der Katalogautorinnen feststellt, daß es zur Rolle der Frau am preußischen Hof nach wie vor keine Literatur gibt, so kann eine Ausstellung das nicht grundlegend ändern, hoffentlich aber entsprechende Forschungen anstoßen.

Die Nachkriegsgeschichte des Schlosses erklärt, warum die Rolle Charlottenburgs nach der Wiedervereinigung der preußischen Schlösserverwaltungen in Berlin und Potsdam neu definiert werden mußte. Charlottenburg ist einzubinden in die zwar beschädigte, aber immer noch substanzreiche Schlösser- und Parklandschaft um die beiden preußischen Residenzstädte und die neue deutsche Hauptstadt. Das hat zuerst insbesondere zu einem Austausch von Kunstwerken und Inventar zwischen Potsdam und Berlin geführt, in dessen Verlauf vor allem Sanssouci, Charlottenburg selbst und das Neue Palais wesentliche Teile ihrer originalen Ausstattung wiedergewannen. Für Charlottenburg bedeutet das einen graduellen Wandel vom West-Berliner Ort preußischer Residenzkultur zu einer konzentrierteren Darstellung der spezifischen Charlottenburger Geschichte.

Gleichzeitig wird Charlottenburg die Erinnerung an das Berliner Schloß wachhalten, in zunehmendem Maße aber auch an das Potsdamer Stadtschloß. Die Vereinigung macht es möglich, qualitätvolle Ensembles aus Potsdam im Neuen Flügel zusammenzuführen, wie es nächstes Jahr mit den französischen Gemälden, den Rokokorahmen und dem Mobiliar Nahls aus dem Potsdamer Speisezimmer Friedrichs II. in der Gelben Atlaskammer geschehen wird. Charlottenburg wird der zentrale Ort sein, an dem die Bedeutung der Residenzkultur für Berlin erfahrbar ist.

Christoph Martin Vogtherr ist Sammlungskustos für französische und italienische Gemälde bei der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, zur Zeit Koordinator der Jubiläumsausstellung "Sophie Charlotte und ihr Schloß. Ein Musenhof des Barock in Brandenburg-Preußen" (6. 11. 1999 bis 30. 1. 2000, Große Orangerie und Altes Schloß).

CHRISTOPH MARTIN VOGTHERR

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