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Kultur: Das Weiche ist das Wahre

Schlaffe Monumente: Agathe Snow im Deutschen Guggenheim

Die Säulen der Akropolis sind weich wie Butter. Müde liegen sie im Deutsche Guggenheim herum: aus bunten Stoffen und mit winzigen Mustern. Kleiner als die Originale, aber doch so imposant, dass man sofort erkennt, wen sich Agathe Snow für ihre monströsen Kissenobjekte zum Vorbild genommen hat.

Die New Yorker Künstlerin macht es einem auch nicht schwer. Die Wände der Ausstellungshalle hat sie für ihre erste große Einzelschau mit fotografischen Collagen gepflastert, deren wiederkehrendes Thema den Besucher von allen Seiten anfällt: Es sind die nationalen Denkmäler dieser Welt. Siegessäule, Roter Platz, Pyramiden, Chinesische Mauer, Eiffelturm. Und wenn man sich an die frühen Erklärungsmodelle der Fotografie erinnert, nach denen angeblich stets ein Quäntchen Substanz vom Gegenstand bleibt, bekommen Snows Kunstwerke, die sie zusammennäht, -zimmert und -schraubt, einen wunderbaren Sinn: Sie wirken wie Denkmäler, denen die Puste ausgegangen ist. Ihre Originale hat sie fast zu Tode fotografiert, und jeder Tourist, der sich ein Bild von den Attraktionen in London, Paris oder Kairo macht, um es nach Hause zu tragen, ist mit daran Schuld.

Alternativ und zum Schutz der kränkelnden Wahrzeichen kann man bei der Künstlerin handgemachte Souvenirs in 3D erstehen. „All Access World“ heißt nicht nur die Ausstellung, die seit November 2010 im Auftrag der Deutschen Bank und der Solomon R. Guggenheim Foundation entstanden ist. Agathe Snow macht den Titel zugleich zum Namen ihrer fiktiven Organisation, bei der sich falsche Monumente bestellen lassen.

Eine Art Factory für Wahrzeichen, die der Auftraggeber nach individuellen Wünschen abwandelt: das Dessin des Eiffelturms passend zum Sofastoff und den Arc de Triomphe bitte nur so hoch, dass er ins Kinderzimmer passt. Entsprechend fungiert die Ausstellung als Showroom mit einer werbewirksamen Mischung aus Skulpturen, Collagen und Videos.

Der Umgang der Künstlerin mit den nationalen Heiligtümern scheint geprägt von Respektlosigkeit. Dem Brandenburger Tor setzt sie das gelbe „M“ der weltgrößten Burgerkette auf, und der Eiffelturm ist mit übergroßen Zigarettenstummeln gespickt, die vom Pop-Artisten Claes Oldenburg stammen könnten. Wie überhaupt viele Zitate sichtbar werden. Von Richard Hamilton über Thomas Hirschhorn bis zum Performer John Bock: Ihr produktiver Umgang mit alltäglichen Materialien spiegelt sich auch in den Skulpturen der 1976 auf Korsika Geborenen. Ein anarchischer Spaß mit Skulpturen auf Rädern, die – unter den Augen des Wachpersonals – durch die Halle im Deutsche Guggenheim rollen und sich immer neu inszenieren lassen?

Snows Projekt gewinnt mit jeder Minute, die man in der Ausstellung verbringt, weil man erkennt, dass den trashigen Bauten auch eine ernsthafte Absicht innewohnt. Die Suche nämlich nach dem Verbindenden jener Monumente, deren Konturen zwar allen vertraut sind, mit denen aber jeder eine andere Geschichte verbindet, wenn er die Kamera zückt. Die Künstlerin ist ebenfalls gereist und hat in Istanbul, Paris, Moskau so viele Geschichten wie möglich gesammelt. Ihre Objekte sind Destillate dieser Statements. Genau wie das wiederkehrende Vokabular. Pyramiden, Kuppeln, Säulen als Versatzstücke einer repräsentativen Architektur. Agathe Snow: „Ich dachte, wenn ich diese Formen benutze, kann ich eine neue, extrem wiedererkennbare Arbeit schaffen, und dann würde die Bildhauerin in mir triumphieren.“

Triumphale Objekte sind es am Ende ihrer Materialschlacht nicht geworden. Im Gegenteil: Die Skulpturen wirken weich, schlapp und vergänglich. Und eben darum weit sympathischer als ihre Vorbilder für die Ewigkeit – als habe Snow die Monumente für sich und alle anderen endgültig auf Menschenmaß gebracht.

Deutsche Guggenheim, Unter den Linden 13/15. Bis 30. März

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