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Kultur: Das weiße Gold

Die Ausstellung „Zauber der Zerbrechlichkeit“ präsentiert Meisterwerke europäischer Porzellankunst

Die Trappe und der Reiher. Sie stehen im ersten Stockwerk des Ephraim-Palais wie zwei Paradebeispiele. Für das, was in Meißen möglich war und zugleich einzigartig für das 18. Jahrhundert. Die lebensgroßen weißen Tierplastiken formte niemand so perfekt nach der Natur wie die Modelleure der Porzellanmanufaktur Meissen, die August der Starke 1710 in seinem sächsischen Reich gegründet hatte. Sie demonstrieren aber auch das Gefälle zwischen jenen Talenten, die in Europa den Ton angaben. Während Johann Joachim Kaendler seinen „Fischreiher“ 1741 als filigranes Objekt schuf, dessen Körper auf zarten Blättern ruht und bei dem selbst nasse von trockenen Federn unterscheidbar sind, bleibt die Trappe von Gottlieb Kirchner merkwürdig plump.

Natürlich versammelt „Zauber der Zerbrechlichkeit“ als Ausstellung im Palais über die Meisterwerke europäischer Porzellankunst weit mehr in den gläsernen Vitrinen. An die 500 Objekte künden vom höfischen Leben und der hohen Kunst der Tafelkultur. Kannen, Saucieren, Ecuelles, Koppchen und Terrinen führen zurück in eine Zeit, in der ein gut gedeckter Tisch vor allem repräsentativen Charakter hatte und für die finanzielle Potenz seiner Besitzer stand.

Verglichen mit der aufwendigen Bemalung nach europäischen wie asiatischen Dekoren und ihrer kleinteiligen Gestaltung nehmen sich die Services neben den großen, kreideweißen Vögeln wie funkelnde Preziosen aus. Und doch macht gerade die edle Klarheit dieser Tiere sichtbar, wie unterschiedlich die Arbeitsweisen waren: Während Kaendler aufmerksam nach der Natur arbeitete, griff Kirchner aller Wahrscheinlichkeit nach auf Kupferstiche zurück. Seine Trappe wirkt wie ein dreidimensionales Bild.

„Da hat einer genau hingeschaut“, meint Ulrich Pietsch mit Blick auf Kaendler. Der Direktor der Porzellansammlung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden ist nach Berlin gereist und weiht die ersten Besucher der Ausstellung in sein Spezialgebiet ein. Vielleicht will er sich aber auch davon überzeugen, dass seine zerbrechlichen Schönheiten in den Vitrinen von Kuehn Malvezzi gut aufgehoben sind. Die Berliner Architekten haben bunte Vorhänge für die Wände ausgesucht und die Objekte in verschiedenfarbiges Licht getaucht. Ein Mops aus Porzellan hockt in weißkaltem Neon, und man muss sagen: Es steht ihm gut.

Ansonsten aber kommt der Versuch, die historischen Objekte in die Gegenwart zu katapultieren, schnell an seine Grenzen. Zu weit sind die frivolen Schäferszenen, die mythologischen Szenen oder kämpfenden Hunde, die sich zum Deckelknauf einer Suppenschüssel formieren, von der ernüchterten Moderne entfernt. Da hilft es auch nicht, dass Pietsch im Angesicht des Reihers ein Plädoyer für den naturalistischen Kunstwillen der Modelleure und Miniaturmaler hält. Sicher haben sie das Material, das Johann Friedrich Böttger nach zahllosen Experimenten erst Anfang des 18. Jahrhunderts für die königliche Dresdner Porzellanmanufaktur nutzbar machte, in hohem Tempo und allen Facetten perfektioniert. Die höfische Lust auf das „weiße Gold“ bescherte der Werkstatt einen solchen Boom, dass dort mitunter 40 Maler gleichzeitig beschäftigt waren.

Dabei kreierten sie immer neue Dekore, die stilbildend wirkten und noch ein Jahrhundert später, als andere Manufakturen längst die Führungsrolle übernommen hatten, im Umlauf blieben. Dennoch zielt das Postulat von Pietsch ins Leere, wenn er den kunsthandwerklichen Aspekt zugunsten der originären Schöpfung zurückdrängt und das Porzellan neben die Malerei und Plastik jener Zeit setzt. Dann nämlich müssen sich die Miniaturen in den kunstgeschichtlichen Kanon stellen und an Werken eines Dürer, Velázquez oder Watteau messen lassen. Ein Vergleich, der nur wenigen Sujets bekommt. Zu regelhaft sind die Dekore, zu brav die Motive am herrschenden Geschmack der Auftraggeber orientiert, als dass sich das Tischgeschirr als freies künstlerisches Statement behaupten könnte.

Der Zauber dieser Ausstellung resultiert gerade nicht aus der übergeordneten Zeitlosigkeit. Sondern daraus, dass alles in Kontexte gebettet ist und sich dort ein Stück Kulturgeschichte entfaltet, das mit etwas Geduld, dank der Begleittexte und zahlreicher Führungen, lesbar wird. So gehört die Schau zu jenen Feierlichkeiten, mit denen Dresden die 300-jährige Tradition der Manufaktur Meissen würdigt. Vom „Triumph der blauen Schwerter“ kündet die parallele Sonderausstellung im Japanischen Palais. Während in Dresden die Historie bis 1815 aufgerollt wird, ergänzt die Schau im Ephraim-Palais das Jubiläum um den europäischen Aspekt. Denn schon bald, nachdem sich der sächsische Kurfürst mit seiner Produktion unabhängig von den teuren Importen aus China gemacht hatte, wetteiferten die Herrscher der benachbarten Länder um weitere Manufakturen. Porzellanmaler und -modelleure warb man sich gegenseitig ab. Bis man von Venedig bis Kopenhagen mit der „maladie de porcelaine“ infiziert war und sich die Dekore über ganz Europa verteilt hatten. Die Folge waren unterschiedliche Ausprägungen mit Rücksicht auf den jeweiligen Zeitgeschmack. Von diesen Wechselbeziehungen erzählt „Zauber der Zerbrechlichkeit“ und holt zur Vervollständigung auch die reichen Schätze der Stiftung Stadtmuseum Berlin heran. Eine monumentale Vase von KPM, drei goldfarbene Gefäße aus demselben Haus mit Potsdam- und Berlinansichten, Statuetten und ein Service mit idyllischen Szenen. Dazu Figurenpaare und ein Gefäß aus der Werkstatt des Berliner Unternehmers Wegely, der schon zu Beginn des Siebenjährigen Krieges 1756 aufgeben musste.

Dass überhaupt so viele der zerbrechlichen Schönheiten als Leihgaben ihren Weg von Dresden, aus Amsterdam oder Sankt Petersburg in das Ephraim-Palais gefunden haben, verdankt sich diesen reichen Berliner Schätzen. Sie müssen sich nun neben den exquisiten Erzeugnissen der anderen Manufakturen behaupten. Was ihnen spielend leicht gelingt.

Ephraim-Palais, Poststr. 16, bis 29.8., Di, Do–So 10–18 Uhr, Mi 12–20 Uhr

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