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Kultur: Das Wetter leuchtet

"Familiengeschichten.Belgrad" im Malersaal des Hamburger Schauspielhauses und Ibsens "Frau vom Meer" am Thalia Theater - das ist ein ungerechter Vergleich, die Experimentierbühne des einen gegen die große Bühne des anderen Hamburger Theaters.

"Familiengeschichten.Belgrad" im Malersaal des Hamburger Schauspielhauses und Ibsens "Frau vom Meer" am Thalia Theater - das ist ein ungerechter Vergleich, die Experimentierbühne des einen gegen die große Bühne des anderen Hamburger Theaters.Und doch, es wetterleuchtet programmatisch - im Schauspielhaus spielt man mit der Wirklichkeit, am Thalia spielt man Theater.

Dort hat Peter Mussbach Ibsens "Frau vom Meer" einer stringenten Ästhetisierung unterworfen.Das abstrahierende Bühnenbild von Rolf Glittenberg - ein schöner Schock: ein Hügel ausgewaschener grauer Steine und Holzplanken, dahinter graues Nichts.Ein großer, glänzend dunkelgrüner Tuff als überwältigender Farbklecks in der Mitte - sind es Algen, nein Luftballons, als Festtagsschmuck.Die Kleidung der Familie Wrangel und der beiden um die Töchter buhlenden Männer ausgeblichen, farblos, nur Tochter Hilde trägt rote Schuhe, und einmal steigt ein roter Luftballon.Kein Himmel nirgends, kein Haus, kein Fjord, nur Steine, später kahle Holzstämme, lastendes Grau, das drohend dunkler wird, dann wieder heller.Ausweglos.

Das Bühnenbild und die Farben der Kostüme erzählen schon das Wichtigste der Geschichte von Ellida und der Familie Wrangel, die Geschichte von lauter Unbehausten, von unmöglichen Sehnsüchten, auszubrechen aus dem grauen Einerlei und freiwilliger Gefangenschaft.Das Personal ist reduziert, die Übersetzung von Heiner Gimmler klar und schnörkellos.Annette Paulmanns Frau vom Meer sieht aus wie eine ländliche Klimtfigur, sie taucht immer von unten, hinten auf, trotzdem will sich die Vorstellung von einem Tier- und Pflanzenwesen nicht so recht einstellen, trotz robbenähnlicher Lagerung auf Steinen, trotz barfüßigen Gleitens und Hüpfens.Sie will ein Meereswesen sein und hat doch längst schon Bodenhaftung.Annette Paulmann spielt erdnah und wahrhaftig.Auch sie trägt anfangs elfenbeinfarbene Kleidung, jäh wechselnd in Schwarz, als sie ihre Ängste, ihr Unterbewußtsein offenlegt, eine Zerrissene.Sie in Schwarz, der fast zu trockene Wrangel (Hans Kremer) in Weiß, die Seiten sind klar.Und der ersehnte und gefürchtete fremde Seemann, ihr Verlobter aus früheren Zeiten, dem sie die Treue brach wegen ihrer Ehe mit Wrangel, der sie verfolgt, sie ruft und lockt, anzieht wie das offene Meer, er ist schon grotesk symbolisch in schwarzen Mantel und Zylinder gewandet, eine kindische Traum- und Totenfigur.

Der Höhepunkt geht schnell und etwas steif und seltsam unbefriedigend über die Bühne: Ellidas Entscheidung zwischen dem Unbekannten und dem Vertrauten, zwischen Meer und Land, Traum und Realität.Als Wrangel ihr die Freiheit zu wählen zurückgibt, wählt sie das alte Leben, ihr Gefängnis am engen Fjord, wählt sie Wrangel.Die Erkenntnis, der Weg hinaus könne ebensogut der hinein sein, soll sicher unbefriedigend wirkend.Doch merkwürdigerweise wirkt gleich der ganze Konflikt antiquiert, als hätte Ibsen uns nichts Neues mehr zu sagen.Alles wird gezeigt, alles ausgesprochen, die Inszenierung schließt sich, der Zuschauer bleibt draußen.Zu schwarz-weiß gedacht? Nur die junge Hilde könnte ein Versprechen auf eine andere Zukunft sein.Dorothee Hartinger ist die einzig wirklich Rebellierende, hinreißend in kindlicher Wut und Neugier auf alles, was Spannung verspricht, ein arglos böser kleiner Teufel.

Sie dürfte sicher mitspielen bei den Kindern des ganz anderen Stückes und träfe auf allzu Bekanntes: Unterdrückung durch erstarrte Verhältnisse an einem abgeschotteten, gottverlassenen Ort, diesmal ein Hinterhof in Belgrad, hundert Jahre später."Familiengeschichten.Belgrad": die junge jugoslawische Autorin Biljana Srbljanovi¿c stellt eine extrem andere Familie vor, mit unheimlich vertrauten Zügen.In einer variationsreich bespielbaren grauen Müllcontainerlandschaft von Raimund Bauer mit Sandkasten und Beton-Tischtennis spielen drei Kinder Familie.Das Problem, daß erwachsene Schauspieler Kinder spielen müssen, die Erwachsene spielen, wird einfach überspielt wie nicht vorhanden.Und es funktioniert.Catrin Striebeck ist die erwachsene Schauspielerin Catrin Striebeck, die in verschiedene Mutterrollen schlüpft und zwischendurch völlig glaubwürdig in das Kind Milena, genauso Michael Weber und Andreas Grothgar.Und Karin Pfammatter als fremde Außenseiterin, die nur am Ende wenige Sätze zu sagen hat, eine stumme, verstörte Kreatur, die, um bei den anderen bleiben zu können, glücklich einen Hund spielt, ist durch und durch Kind.Zum Glück spielt sie den von der Autorin verordneten Tick nur zweimal, wie überhaupt alle eine schier unglaubliche Balance halten, eben nicht Kinder spielen, wie selbstverständlich ab und zu Kinder-Haltungen einnehmen, das genügt.

Der Regisseur Anselm Weber hat für die verschiedenen Familiengeschichten und Rollenmuster liebevoll humoristisch karikierte, ins traurig Reale umkippende Spielweisen gefunden.Diese Kinder spielen auf ihrem Müllspielplatz ihre Eltern nach, weil sie nichts anderes kennen, keine eigene Phantasie entfalten können in dieser Stadt Belgrad, in der kein Krieg tobte, die aber vom Krieg gezeichnet ist, von Diktatur und Emigration.Das erste Stück der Autorin, eingeladen zur diesjährigen Bonner Biennale, handelte von emigrierten Jugendlichen.Jetzt wagt sie sich zurück nach Belgrad selbst, zeigt an ihren erwachsenen Kindern den Stillstand in dieser Stadt.In der Kinder aus Versehen ihre Eltern umbringen, weil Bomben herumliegen.Das ist das Geheimnis der verstörten Nadezda.Und jede der Familienszenen hört auf mit der Tötung der Eltern durch das Kind, durch Verbrennen, Erschießen, Strangulation, am Schluß spielen die Eltern Selbstmord.Realistisch und doch fingiert, mit doppeltem Boden, wie das ganze Spiel im Spiel.Das kindlichste und zugleich schrecklichste Spiel kommt am Schluß, als sie Puppentheater spielen, mit einem Holzstück, einer einbeinigen Barbiepuppe und einer Plastikflasche, diesmal richtig spielen, aber nur die Unfähigkeit, Hilflosigkeit und Gewaltbereitschaft der Erwachsenen gegen ihre eigenen Kinder imitieren.

Ein Stück, das unter die Haut geht.Eine Inszenierung, die das verschärft, durch genaues, ganz leicht und oft heiter wirkendes Spiel.

"Die Frau vom Meer" 1.-3.12.; "Familiengeschichten.Belgrad" 30.11., 5.und 6.12.

ULRIKE KAHLE

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