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Ringbau. Mit der Achteck-Form der Gebäude wollte Architekt Reinhard Schmock an ein Quartier in Barcelona erinnern.

© Thilo Rückeis

Berliner Häuser (12):: Das Wohngetüm

Im Block Falkstraße 24 im Rollbergkiez lebt endlich eine WG. 30 Jahre nach dem Bau wird das Neuköllner Viertel nun so, wie sein Architekt es plante.

Der Mann, der das Ungetüm mit den vielen Köpfen erschaffen hat, ist zurückgekommen und steht jetzt davor. Einige Köpfe sind rot, andere blau. Der Mann schaut sie an. „Natürlich tut einem das weh, wenn so etwas passiert“, sagt Reinhard Schmock.

Schmocks Ungetüm hört auf den Namen Rollberg, die Köpfe sind eine Skulptur am westlichen Rand des Neuköllner Viertels. Jahrelang waren sie Treffpunkt von arabischen Gangs. „Lass mal Köpfe gehen“, sagten die Jungen und dann prügelten, stahlen und vergewaltigten sie. 2003 wurde ein Polizist im Viertel erschossen. Einige Jahre später schrieb die Ex-Bewohnerin Güner Balci das Buch „Arabboy“, das die Siedlung über Berlin hinaus bekannt machte. Und immer, wenn es um den sozialen Brennpunkt Rollbergviertel ging, ging es auch um dessen Architektur. Von „Betonburgen“ und „Ufos“ war die Rede, und ein bisschen klang es so, als könne in Häusern wie diesen nichts anderes als Verderben gedeihen.

Schmock trägt ein Samtjackett, unter dem Arm hat der 68-Jährige eine Mappe mit Luftaufnahmen von den Rollbergen in den neunziger Jahren Um sie zu machen, ist Schmock damals extra mit einer Cessna über Neukölln geflogen. Der Architekt hat die fünf Ringbauten zwischen Werbellin-, Hermann-, Kopf- und Morusstraße, die das Rollbergviertel bilden, mit viel Idealismus gebaut, 1976 fing er damit an, 1982 waren sie fertig.

Die Oktogon-Form der Gebäude sollte an Barcelona erinnern, wo man im Stadtteil Eixample lauter quadratische Blocks mit abgeschrägten Ecken findet. Ansonsten, sagt Schmock, hätten sie sich an den zwanziger Jahren orientiert, „daher die Sachlichkeit des Entwurfs“. Heute, fast 30 Jahre nach der Fertigstellung, lässt das Viertel seinen Architekten noch immer nicht los. Wie ein Vater es nicht erträgt, wenn man schlecht über seine Kinder spricht, mag es auch ein Architekt nicht, wenn alle über seine Häuser schimpfen. Doch zeigen die Rollberge, dass Wunsch und Wirklichkeit manchmal nicht mehr gemeinsam haben als den Anfangsbuchstaben.

Altbauten. Hier ein Bild vom Rollberg-Kiez aus dem Jahr 1967. Ende der Sechziger wurde das Gründerzeitviertel rund um die Falkstraße abgerissen.
Altbauten. Hier ein Bild vom Rollberg-Kiez aus dem Jahr 1967. Ende der Sechziger wurde das Gründerzeitviertel rund um die Falkstraße abgerissen.

© Museum Neukölln

Schmock war 28 Jahre alt, als er 1972 mit Rainer Oefelein und Bernhard Freund den Wettbewerb für die Neubebauung der Rollberge – bis dahin ein Quartier mit Mietskasernen – gewann. In einem Alter, in dem andere höchstens einen Joint bauen, baute er ein Viertel mit etwa 2200 Wohnungen auf einer Fläche von 11,4 Hektar. Damals war der Fluglärm von Tempelhof das größte Problem für die Gegend, deshalb entschieden sich die Architekten für geschlossene viereckige Bauten mit schallgeschützten Innenhöfen. Jede Wohnung bekam Zimmer zum Hof hin und damit ruhige Zonen. Auf Außenbalkone wurde wegen des Lärms weitgehend verzichtet.

Die Hausflure sollten besonders praktisch sein. Auf zwei Etagen liefen sie einmal um den kompletten Ringbau herum, hinunter zur Straße kommt man an allen vier abgeschrägten Ecken. Als Schmock das erzählt, sagt er nicht einfach Ecke, sondern spricht mit Freude von der „schönen Ecke“. Er ist mit Leib und Seele Architekt.

An einer dieser Ecken hat Mona erlebt, wie ein Junge auf einen anderen schoss. Mona ist 17 Jahre alt, ihren vollständigen Namen will sie nicht verraten. Im Rollbergviertel lebt sie, seit sie ein Baby war. Inzwischen wohne sie gern hier, sagt sie, vor allem seit die Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land Kameras installiert hat und viele Gangmitglieder im Gefängnis sitzen.

Anders als viele Frauen im Viertel strahlt Mona, deren Eltern aus dem Libanon stammen, Selbstbewusstsein aus. Auf ihrer Jeans funkeln Strasssteine, bald beginnt sie eine Ausbildung zur medizinisch-technischen Assistentin. Doch habe es Zeiten gegeben, sagt sie, in denen sie schon Angst bekommen habe, wenn sie nur jemanden rennen sah. Vor einigen Jahren noch seien Mädchen zum Sex herumgereicht worden, „wie bei stiller Post“, sagt Mona. „Die Jungen hier waren einen Tick härter als alle anderen.“

Kahlschlag. Eine Brache an der Kienitzer-, Ecke Kopfstraße im Jahr 1974. Hier entstanden zwischen 1976 und 1982 die Neubauten des Rollbergviertels.
Kahlschlag. Eine Brache an der Kienitzer-, Ecke Kopfstraße im Jahr 1974. Hier entstanden zwischen 1976 und 1982 die Neubauten des Rollbergviertels.

© Museum Neukölln

Die Häuser mit ihrer Ausrichtung zum Hof hin seien manchmal wie eine Mauer gewesen, sagt Mona. Eine Mauer, hinter der alles passieren konnte. Zum Beispiel lieferten sich die Jungen auf den umlaufenden Hausfluren, die Schmock so praktisch erschienen waren, regelmäßig Verfolgungsjagden mit der Polizei. Und Mona war froh, wenn sie in den Mädchentreff Madonna entfliehen konnte.

Der Treff liegt im Erdgeschoss einer der Ringbauten, in der Falkstraße 26, die quer durchs Viertel verläuft. Ursprünglich hatten die Architekten einige der ebenerdigen Räume als Waschsalons vorgesehen. Dass diese dann doch nicht realisiert wurden, sagt einiges darüber, wie die Erwartungen der Architekten und die Realität des Viertels auseinanderklafften. Die Frauen der arabischen Clans, die in das Viertel zogen, durften mitunter kaum auf die Straße, ihre Wäsche mussten sie zu Hause waschen. Inzwischen beherbergen die Erdgeschosse der Wohnblöcke viele soziale Einrichtungen, den Mädchentreff hat Schmock 2001 selbst umgebaut.

Als er Ende der neunziger Jahre hörte, wie sich das Viertel entwickelte, kam er zurück. Ersetzte die Betonmauern, die zu den Eingängen führten und das Viertel isoliert erschienen ließen, durch leichte Geländer in Rot und Blau, legte Grünflächen an und schloss die umlaufenden Hausflure. „Ich habe mich auf mein Urheberrecht berufen“, sagt er. „Ich habe mich verantwortlich gefühlt.“

Mussten die Mietskasernen damals tatsächlich abgerissen werden? Heute wäre so ein Gründerzeitviertel mit Giebeln, Türmchen und Stuck eine begehrte Wohngegend. „Damals hatten wir keine Wahl“, sagt Schmock. „Das war politisch alles eingetütet.“ 1963 hatte der Berliner Senat ein erstes Stadterneuerungsprogramm beschlossen. Dabei ging es vordergründig darum, die Wohnbedingungen zu verbessern. Allein in diesem Quartier hatten 78 Prozent der Wohnungen damals keine eigene Toilette. „Der Altbau fällt und macht Platz für ein besseres und gesünderes Wohnen“, hieß es jubelnd in einer Senatsbroschüre, die 1974 über die Kahlschlagsanierung des Viertels informierte.

Tatsächlich waren Abriss und Neubau aber auch Methoden, um die Wirtschaft anzukurbeln und Berlins Standortnachteile durch die deutsche Teilung auszugleichen. Der Architekt Klaus Barzantny, der ebenfalls am Rollberge-Wettbewerb teilnahm, sagt, der Zustand der 170 Altbauten in dem Gebiet sei längst nicht so schlecht gewesen wie behauptet. Immerhin gab es kaum Bombenschäden, „eher waren sie absichtlich vernachlässigt“. Der Entwurf, an dem Barzantny mitarbeitete, sah die Erhaltung zumindest eines Teils der Gebäude vor, Bäder sollten eingebaut, enge Hinterhöfe entkernt werden.

Er belegte den vorletzten Platz. Schon einige Jahre später wäre die Entscheidung vielleicht anders ausgefallen.1975 bewies der Architekt Hardt-Waltherr Hämer am Klausener Platz, dass eine Modernisierung nur ein Drittel dessen kostet, was für Abriss und Neubau veranschlagt werden muss. Die behutsame Stadterneuerung war erfunden. Ihr Vorteil: Durch den phasenweisen Umbau blieb die Mieterstruktur erhalten. Nicht so in den Rollbergen. „Es wurde schneller abgerissen, als wir bauen konnten“, sagt Schmock. Die Arbeiter, die das Viertel geprägt hatten, zogen fort, und in die Wohnungen, die Schmock für Wohngemeinschaften von Studenten gedacht hatte, zogen arabische Großfamilien, die keine Arbeit hatten.

2007 ist dann allerdings doch noch eine WG eingezogen, eine der besonderen Art: eine Alten-WG. Zu elft haben sie zehn Wohnungen in einem Block in der Falkstraße 24 gemietet. Bärbel Ristow ist eine der Bewohnerinnen. Die letzten Jahre hat die Ärztin in einem Haus in Mahlow gewohnt, schön sei es da, sagt die 72-Jährige, „aber jeder sitzt hinter seiner Gardine“. Ristow kann man sich an vielen Orten vorstellen, aber nicht hinter einer Gardine, ihr Gesicht ist braun gebrannt, sie trägt Allzwecksandalen und ist in allen Nuancen von Orange gekleidet.

Mit ihrem Mann schloss sie sich einer Gruppe an, die sich im Alter zusammentun wollte. Lange suchten sie nach einem Haus mit genügend Platz, dann hörten sie, dass es in den Rollbergen Leerstand gebe. Nun wohnt Ristow genau dort, wo andere geflüchtet sind, sie doziert nicht groß über Integration, sondern lebt sie einfach. Sie tut das unaufgeregt, fast nebenbei:Neulich waren sie bei Nachbarn zu einem Beschneidungsfest eingeladen, und ein arabischer Junge, der sein Zimmer mit Geschwistern teilt, kommt zum Lernen in die ruhige Erdgeschosswohnung, die zur Alten-WG gehört. Vor ihrem Fenster steht der Ginkobaum, den die Ristows aus Mahlow mitgebracht haben. Er gedeiht hier, der Hof ist hell und licht, genau wie die gut geschnittene Maisonette-Wohnung der Ristows in den oberen Stockwerken.

Und dann hat ihre neue Wohngegend noch einen weiteren Vorteil, der mit Fluglärm zu tun hat. Über Mahlow werden bald die Flugzeuge von und nach Schönefeld fliegen, hier im Rollbergviertel ist es still geworden. Deshalb hat Reinhard Schmock den Ristows einen Balkon angebaut, eine seiner letzten Taten im Rollbergviertel. Langsam hat der Architekt das Gefühl, dass sein Ungeheuer den Menschen vielleicht doch noch geheuer wird – und er es sich selbst überlassen kann. So hat er Zeit für sein Hobby, Schmock baut jetzt Stahlskulpturen. Da, sagt er, könne er endlich tun, was er wolle.

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