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Kultur: Das Zweierkollektiv

Jedes Buch ein Einzelstück: Seit 25 Jahren gibt es in Kreuzberg den Transit Verlag

Für Geschichten ist beim Berliner Transit Verlag der Verleger persönlich zuständig. Fragt man Rainer Nitsche, wie er denn auf den Namen seines Unternehmens gekommen sei, rückt er sich im Sessel zurecht und beginnt zu erzählen: von der Dependance des Luchterhand Verlags in Berlin, wo er als Herausgeber und freier Lektor Hans Magnus Enzensberger, Günter Grass und Hans Werner Richter kennen lernte. Von der Lektorin Elisabeth Borchers, die damals fürsorglich vornehmlich junge hübsche Lyriker betreute. Von Klaus Roehler, der fürsorglich vornehmlich junge hübsche Lyrikerinnen betreute. Von „14, 15 Vorstrafen“, die Nitsche als Verantwortlicher einer Studentenzeitung sammelte und die ihn die Professur für Sozialgeschichte an der TU kosteten. Von US-Soldaten und Küchenschaben im Gefängnis Tegel und ... „Rainer“, lächelt Mitverlegerin und Ehefrau Gudrun Fröba, „du wolltest doch von Transit erzählen.“

Rainer Nitsche rückt sich erneut, nun wie ertappt, im Sessel zurecht und blickt sich kurz in der schönen Charlottenburger Altbauwohnung um, bevor er die Kurve kriegt: „Okay, ich hatte also Berufsverbot und keine Lust, bei Rotbuch oder Wagenbach einzusteigen. Ich wollte was Eigenes machen und gründete mit zwei Leuten die Zeitschrift ‚Ästhetik & Kommunikation‘.“ Und was immer dann noch folgt (und es folgt einiges) an Ereignissen aus der Vorgeschichte des Unternehmens, das in diesem Monat seinen 25. Geburtstag feiert, ein anderer Name als Transit wäre gar nicht denkbar.

Deshalb noch einmal von vorn: Der Transit Verlag, das sind die in der Regel gemeinsam auftretenden Eheleute Rainer Nitsche und Gudrun Fröba. In Berlin sind die Verleger, beide mit blauen Augen, er groß und lockig, sie kleiner und zerstrubbelt, bekannt wie bunte Hunde. Zehn Bücher machen sie jährlich. Anders als Wagenbach oder der vor Jahren nach Hamburg gezogene Rotbuch Verlag setzt Transit nicht auf wiedererkennbare Reihen, sondern auf Individualität: Jedes Buch, von Gudrun Fröba schön und haltbar, zuweilen auch verspielt mit Vignetten gestaltet, steht für sich als Einzelstück, Pretiose, manchmal Trouvaille.

Was verbindet schon Matthew D. Roses „Eine ehrenwerte Gesellschaft“, eine knallharte Wirtschaftsreportage über die Schuldenmacher der Bankgesellschaft Berlin, mit Peter Wawerzineks ungebärdiger Prosa? Was die Geschichte des Aquariums mit Feuilletons des Kunstsammlers Heinz Berggrün? Was Briefe Uwe Johnsons mit dem prächtigen Fotoband „Die Schinkel-Schule“? Und was die Adressbücher von Paul Hindemith und Marlene Dietrich mit der Geschichte der Mitropa oder dem von Verleger Nitsche höchstselbst verfassten Buch über den Geiz („Sparpreis 9,95 Euro“)? Der Transit Verlag ist ein Wilderer zwischen den Gattungen und Erzählweisen.

Etwas anderes können sich Gudrun Fröba und Rainer Nitsche gar nicht vorstellen: „Das Programm hängt von unseren Interessen ab, und die sind nicht so reduziert, dass wir sie mit einem Wort beschreiben könnten.“ Schöne Geschichten begeistern sie und überraschende Zugänge. Wenn F. C. Delius, bekannt als Autor spannender Zeitromane, in „Die Minute mit Paul McCartney“ 66 Stilübungen auf eine Zeitungsmeldung vorlegt, dann geraten sie ins Schwärmen. Einen Rap enthält das Buch und einen Haiku: „Flirrende Bälle./ Versteckte Märzenbecher/ in Mädchenherzen.“

„Versteckte Märzenbecher“ vom Autor des Entführungs- und Paranoia-Romans „Ein Held der inneren Sicherheit“!

Ein Hauch von Luxus eignet dem Transit-Programm, und die Verleger wissen das. „Früher sagten Buchhändler und Leser: Oh, das ist was Besonderes, das wollen wir haben. Heute heißt es: Oh, das ist schön, aber wer interessiert sich schon dafür?“ Mit dieser Haltung, sagt Rainer Nitsche, der auch Vorsitzender des Buchhändler- und Verlegerverbands Berlin- Brandenburg ist, sei der Siegeszug von Buchhandelsketten wie Thalia nicht aufzuhalten.

Transit selbst sollte nicht wachsen. „Ich habe kein Talent zum Chefsein, ich kann nicht kontrollieren und anordnen“, sagt der 1945 geborene Nitsche, und seine Ehefrau nickt mit spitzbübischem Lächeln. Es blieb also beim Paar, das die linke Utopie des Miteinanderlebens und -arbeitens verkörpert. Vielleicht, weil das Paar dieser Utopie nie anhing. „Rainer konnte es sich nicht vorstellen, dass wir auch noch zusammen arbeiten“, sagt Fröba über eine Zeit, die sich bald erledigt hatte. „Ich bin in den Verlag hineingerutscht, weil ich während des Kunstgeschichtsstudiums Geld brauchte und mit zehn Fingern auf der Satzmaschine tippen konnte.“ Bald gestaltete sie die Bücher, die Nitsche lektorierte. Gemeinsam kümmern sie sich seither um Buchhandlungen und die Autoren. Dann gibt es noch ein ererbtes Haus in Nordbayern, in dessen Garten sich prächtig lektorieren und korrigieren lässt.

Trotz des Namens ist Transit von jeher im Kreuzberger Mehringhof ansässig, einem riesigen Fabrikareal, das ein Dutzend Vereine Ende der Siebzigerjahre für 1,7 Millionen DM kauften. Nitsche war von 1978 bis 1983 Geschäftsführer der Nutzergemeinschaft. Für ihn sind diese Jahre, in denen die Ufa-Fabrik besetzt wurde und viele selbstverwaltete Unternehmen entstanden, eine Gründerzeit: „Wir wollten was Neues ausprobieren. Das Motto lautete ‚Avanti dilettanti‘.“

Aber dann interessiert einen doch, wie sie zu dem Verlagsnamen fanden? Nitsche hatte damals Geld für die Zeitschrift „Ästhetik & Kommunikation“ besorgt, womit seine Kompagnons allerdings erst mal ihre Schulden beglichen. Er trennte sich von ihnen, blieb selbst im großen Büro und machte mit zwei anderen Leuten einen Verlag auf, der Komma heißen sollte. „Weil uns das dauernde Geschnatter bei der Zeitschrift auf die Nerven ging, fingen wir an, eine Mauer hochzuziehen. Die anderen revanchierten sich, so dass ein Flur zwischen den zwei Büros entstand: die Transitstrecke.“

Nitsche schrieb dann einen Brief an Honecker und forderte Tantiemen für die Benutzung des Wortes Transit. Zwei Prozent sollte die DDR an ihn abführen als eine Transitgebühr-Gebühr. Noch so eine Geschichte.

Jörg Plath

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