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Einzelfallrecherche? Die Staatlichen Museen erforschen in der Regel die Herkunft ganzer Werkkonvolute, mithilfe von Akten. Sie können noch aufschlussreicher sie als die Zettel auf der Rückseite eines Gemäldes, wie hier bei Paul Klees „Federpflanze“.

© picture alliance / dpa

Debatte um Raubkunst: Einmal Moskau und zurück

Raubkunst-Verdacht bei Kokoschka: über die Vorgeschichte des Bildes „Pariser Platz“ und den Stand der Dinge bei der Provenienzrecherche der Stiftung Preußischer Kulturbesitz.

Kaum löst sich der Fall Gurlitt in ein gesichtswahrendes Wohlgefallen für beide Seiten auf, den Staat wie den Kunsthändlersohn, gibt es einen neuen Raubkunst-Verdacht in Berlin: Oskar Kokoschkas Bild „Pariser Platz“, das viele Jahre im Amtszimmer des Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz hing, gehört womöglich zur „NS-verfolgungsbedingt entzogenenen“ Kunst. So die offizielle Bezeichnung für Werke, die von den Nazis enteignet, abgepresst und geraubt wurden, in der Regel aus jüdischem Eigentum. Die Stiftung selbst war bei der Erforschung ihrer Bestände nach Herkunft und Gelangen in die Sammlungen stutzig geworden. „Proaktiv“ wird das Verfahren bezeichnet: Man forscht aus eigenem Impuls, auch ohne dass es Restitutionsanfragen gibt.

„Dieses Bild gehörte zur Dienstzimmerausstattung“, erklärte Stiftungspräsident Hermann Parzinger am Donnerstag in seinem Amtssitz, der spätklassizistischen Villa von der Heydt in Tiergarten. Er verwies auf einen Grundsatzbeitrag KlausDieter Lehmanns, seines Vorgängers im Amt bis 2008, in dem dieser die Rückgabe von Raubkunst unter Auslassung juristischer Einsprüche wie Verjährung zum Stiftungsgrundsatz erhoben hatte – unmittelbar nach Verabschiedung der Washingtoner Erklärung vom Dezember 1998.

Die Stiftung mit ihren 17 Staatlichen Museen arbeitet umfassend an der Provenienzrecherche. Im Mittelpunkt steht derzeit die Neue Nationalgalerie mit ihren Werken des 20. Jahrhunderts, unter denen auch belastete Kunstschätze vermutet werden. Die Ergebnisse sollen spätestens 2015 veröffentlicht werden. Ebenso erforscht die Stiftung die Rolle der Dresdner Bank bei Transaktionen während der NS-Zeit. Die Bank spielte unter anderem beim Erwerb des mittelalterlichen Welfenschatzes durch das Land Preußen eine erhebliche Rolle. Nicht nur als Vermittler, sondern sogar als formaler Erwerber und Zwischenfinanzier.

Das 1925/26 entstandene Kokoschka-Gemälde war zunächst Eigentum von Hermann Lange in Krefeld, einem bedeutenden Sammler zeitgenössischer Moderne. Lange gehörte mit Kirchners „Potsdamer Platz“ das Glanzstück der Neuen Nationalgalerie. Die 70 mal 110 Zentimeter große „Pariser Platz“-Ansicht kam über die Galerie Cassirer in den Besitz der Münchner Galerie Caspari. Diese, so Parzinger, war bereits vor 1933 Kreditnehmer der Dresdner Bank, wobei Kunstwerke zur Sicherung verpfändet wurden. Das kann auf das Kokoschka-Bild zutreffen. Sollte das Bild anders als bisher angenommen erst nach 1933 an die Bank gekommen sein, von der es 1935 in das Eigentum Preußens überging, „werden wir restituieren“, so Parzinger. Fragt sich, an wen. Bislang gibt es keine Forderung auf Herausgabe.

Ein Teil der Kunst des 20. Jahrhunderts in der Nationalgalerie gehört dem Land Berlin

Das Gemälde hatte sich lange nicht in Berlin befunden. 1945 von der Roten Armee in die Sowjetunion abtransportiert, gelangte es erst 1958 auf die Museumsinsel in Ost-Berlin zurück. Die DDR hat sich bekanntlich nicht um Restitution jüdischen Eigentums gekümmert. Im Katalog der Ausstellung „Weltschätze der Kunst – der Menschheit bewahrt“, mit der die „Staatlichen Museen zu Berlin, Hauptstadt der DDR“ 1985 die „Rettungstat“ der Roten Armee feierten, wird das Kokoschka-Bild mit einer der wenigen Farbabbildungen hervorgehoben. Zu seiner Herkunft heißt es lediglich: „Erworben 1935 durch Überweisung“. Die Dresdner Bank wird nicht erwähnt.

Bemerkenswert ist, dass das Bild nicht zu den 1937 als „entartet“ beschlagnahmten Werken zählte, sondern in der Nationalgalerie verblieb und 1945 von der „Trophäenkommission“ der Roten Armee nach Moskau versandt wurde. 1958, auf der ersten Ausstellung der unter Chruschtschow zurückgegebenen Berliner Bestände, wurde es nicht gezeigt. Dafür jedoch zwei andere Arbeiten Kokoschkas, die ebenfalls 1935 „durch Überweisung“ in die staatliche Sammlung gekommen waren, mutmaßlich aus demselben Enbloc-Verkauf der Dresdner Bank.

„Alles, was in unseren Beständen ist, muss sauber sein“, bekräftigte Hermann Parzinger nun. Was die weiteren Gemälden in seinem Büro betrifft, verweist er darauf, dass Erich Heckels „Frauenbildnis“ bis 1960 im Eigentum des Künstlers war und sechs Jahre später erworben wurde. Dessen „Carolabrücke Dresden“ hatte man bereits 1923 gekauft. „Wir stoßen immer wieder auf Bilder mit fraglicher Provenienz“, wehrt Parzinger den Verdacht der Verheimlichung ab. „Das ist das tägliche Geschäft der Recherche, die Villa von der Heydt ist davon nicht ausgenommen.“

Zur Zeit laufen Recherchen über die Rolle der Dresdner Bank.

Die Sammlung der Neuen Nationalgalerie befindet sich übrigens nicht zur Gänze im Eigentum der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Die 1947 von der noch ungeteilten Stadt Berlin initiierte, anschließend in West-Berlin abermals gegründete „Galerie des 20. Jahrhunderts“ wurde der neu errichteten Stiftung Anfang der 60er Jahre vom Land treuhänderisch übertragen. Und zwar mitsamt ihrem bereits im Bau befindlichen Museumsgebäude, der heutigen Neuen Nationalgalerie Mies van der Rohes. Die Kunstwerke selbst verblieben in Landeseigentum.

Die entsprechende Provenienzrecherche wird daher in Kooperation mit der Berliner Kulturverwaltung betrieben, die auch die Ergebnisse hinsichtlich der landeseigenen Gemälde vorstellt und entsprechend handelt. So wurden aus dem Altbestand der „Galerie des 20. Jahrhunderts“ bislang zwei Gemälde von Karl Schmidt-Rottluff aus der Sammlung des im Holocaust ermordeten Fabrikanten Robert Graetz restituiert. Empfohlen hatte dies die von beiden Parteien angerufene Limbach-Kommission, die Museen in Zusammenhang mit der Rückgabe „NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter“ berät. Wegen ihres Votums zum Verbleib des Welfenschatzes bei den Staatlichen Museen war sie kürzlich unter Beschuss geraten. Was stiftungseigene Kunstschätze betrifft, ist der Präsident vom Stiftungsrat ansonsten ermächtigt, begründete Restitutionen vorzunehmen.

Von den Recherchen zur Dresdner Bank erhofft sich Parzinger Aufschluss darüber, „wie das ganze System funktioniert hat“. Er räumt ein, dass „lange genug nicht genügend geschehen“ sei, doch nun werde „Haus für Haus durchgeprüft“. Und zwar auf Grundlage von Akten wie etwa denen zu den Geschäften der Großbank, weil sich so mitunter aus einem einzigen Vorgang Hinweise auf zahlreiche Kunstwerke ergeben. Eine Recherche Kunstwerk für Kunstwerk, wie Kritiker sie bei Kokoschka angemahnt haben, verschlänge viel zu viel Zeit. Es ist wenig sinnvoll, immer wieder vom Einzelwerk auszugehen, wo es sich doch oft um zusammenhängende Konvolute handelt.

Das dürfte auch im Fall der Münchner Galerie Caspari zutreffen. Ihre Alleininhaberin Anna Caspari wurde, nachdem ihre Sammlung 1939 von der Gestapo beschlagnahmt worden war, 1941 von der SS ins litauische Kaunas deportiert und dort am 25. November ermordet.

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