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Klare Sache. Mirga Grazinyte-Tyla leitet das Deutsche Symphonie-Orchester.

© Stefan Maria Rother

Debüt in der Philharmonie: Der spielende Held

Die Dirigentin Mirga Grazinyte-Tyla gibt ihr Debüt am Pult des Deutschen Symphonie-Orchesters.

Konzerte sind keine höhere Form von Zufall, vor Jahren zwischen Künstleragenten und Orchesterdirektoren ausgehandelt, sondern spielen immer im Jetzt – daran will Mirga Grazinyte-Tyla keinen Zweifel aufkommen lassen. Ihr Programm, mit dem die Dirigentin beim Deutschen Symphonie-Orchester debütiert, legt sich wie soeben ausgedacht und doch passgenau über den 100. Unabhängigkeitstag Finnlands und den 98. Geburtstag des Komponisten Mieczyslaw Weinberg. Zur Einstimmung gibt es zusätzlich Jean Sibelius’ schwermütig-leichtgenommene „Szene mit Kranichen“, deren Noten Grazinyte-Tyla erst am Vortag in die Proben einstreute. Nur keine Routine aufkommen lassen, gerade wenn die Angebote so zahlreich und verlockend sind, wie sie auf die 1986 geborene Nachfolgerin von Rattle und Nelsons in Birmingham einstürmen.

Schon die Kranichszene zeigt Grazinyte-Tylas ebenso anmutige wie bestimmte Art, mit ihren Musikerinnen und Musikern zu kommunizieren. Zusammen atmen, leicht bleiben in der Intonation, den Brustkorb weit offen. Zugleich aber immer auf dem Sprung sein und sich ja nicht benebeln lassen vom eigenen Zartklang. Diese Wachheit tut Sibelius’ Miniatur ungemein gut, deren Zauber die Klarheit nicht zu scheuen braucht. Verbunden ist sie mit viel Gespür für die motorischen Urgründe dieser Musik.

Für Weinberg, der als polnischer Jude vor den Nazis floh und in der Sowjetunion beinahe von Stalins Säuberungswellen verschluckt wurde, hat sich Grazinyte-Tyla schon im Sommer in der Komischen Oper stark gemacht. In die Philharmonie hat sie nun sein Violinkonzert g-Moll mitgebracht – und mit Gidon Kremer einen vertrauten Mitstreiter. Auch hier strebt die Dirigentin nach Transparenz im Klang, doch Weinberg ist nicht wie sein Freund Schostakowitsch. In seiner Musik ist nicht alles sarkastisch ausgehärtet, und diese Weichheit könnte einen stärkeren Raum einnehmen. Grazinyte-Tylas Sicht aber bleibt bewusst unsentimental und überlässt Kremer die versteckten Herzenstöne, der sie im zugegebenen Präludium wie nebenbei anreißt.

In Sibelius´ „Lemminkäinen“-Suite zeigt die 31-jährige Dirigentin ein tiefes Verständnis für die besondere Architektur seiner Fabel-Tondichtungen. Kleinste Klangpartikel zirkulieren ohne je zu ermüden, Held Lemminkäinens umfassende erotische Wirkung auf die Frauen der Insel Saari ist logische Folge von energetischem Kreisen, kein schwüles Überkochen. „Der Schwan von Tuonela“ zieht seine Bahn in einem flirrend-kalten Totenreich, nicht symbolistisch überfrachtet, sondern unter unaufhörlichem Pulsieren. Was für ein Spiel! Man darf sich auf das nächste Gastspiel freuen, am 2. März im Konzerthaus.

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