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Roll over Beethoven. Jon Lord 2010 bei Orchesterproben in Ungarn. Foto: dpa

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Deep-Purple-Organist Jon Lord: Sinfonie für den Teufel

Er versuchte, Rock und Klassik miteinander zu versöhnen: Zum Tod des Deep-Purple-Organisten Jon Lord.

Manchmal werden Bands zu Banden. Die Rockgeschichte ist voll von Anekdoten, in denen Männer – immer Männer, Frauen scheinen immun zu sein gegen derlei testoterongesteuertes Aufbrausen – einander an den Hals gehen, anstatt miteinander zu musizieren. Paul McCartney und John Lennon verachteten einander in der Endphase der Beatles so sehr, dass McCartney in eine Depression fiel und ein Alkoholproblem bekam. Charlie Watts soll Mick Jagger einmal in einem nächtlichen Hoteleklat gewürgt, an die Wand gedrückt und wutentbrannt geschnauft haben: „Nenn mich nie wieder deinen Drummer.“ Noch etwas inniger scheint die Hassliebe zwischen Dave Davies und seinem Bruder Ray Davies zu sein. Der Gitarrist der Kinks bezeichnete den Sänger in Interviews gerne als „Arschloch“.

Doch mit dem Krieg wächst auch die Kreativität. Jedenfalls in einigen Fällen. Der Streit, den Jon Lord und Ritchie Blackmore miteinander austrugen, gehört zu den produktivsten Pfauenkämpfen der jüngeren Musikgeschichte. Sie prügelten sich auf offener Bühne, manchmal gingen dabei Instrumente zu Bruch, für Konzertbesucher war es ein großer Spaß. Es ging um Macht und um Grundsätzliches.

Der Keyboarder Lord arbeitete an seiner Vision vom Rock als sinfonischem Gesamtkunstwerk, Gitarrist Blackmore wollte es lauter, schneller, krachiger. Für etwa ein Jahrfünft, von 1968 bis 1973, machten sie Deep Purple zu einer der härtesten und stilprägendsten Bands der Welt. Am Ende setzte Blackmore sich durch, Deep Purple stiegen auf zum Hardrock-Denkmal, die Soli wurden immer länger. Doch die Spannung war raus, 1975 verließ Blackmore die Gruppe.

Eines kann man Jon Lord gewiss nicht nachsagen: Dass er nachtragend gewesen sei. „Ritchie ist wie ein Terrier oder ein Pitbull. Wenn er sich einmal in etwas verbissen hat, lässt er nicht mehr los. Er hat eine genaue Vorstellung von dem, was er will, und kämpft unermüdlich dafür, es durchzusetzen. Ich liebe ihn so, wie er ist. Er ist der Funke, der Deep Purple entzündet“, erzählte er Ende der achtziger Jahre, als der Gitarrist noch einmal in die Band zurückgekehrt war. Dass sein Anteil am Werk von Deep Purple unterschätzt wurde, war Lords Schicksal. Im Scheinwerferlicht standen andere, Ritchie Blackmore oder der Sänger Ian Gillan.

Um zu erfahren, welch ein virtuoser Musiker Jon Lord war, reichen ein paar Kostproben aus: die windschief pumpenden Akkorde seiner Hammondorgel in „Hush“, dem ersten, noch schwer psychedelischen Hit der Band aus dem Jahr 1968. Das gleichermaßen Assoziationen von Haschschwaden und Kirchengewölben auslösende Keyboardgefiepe in „Child in Time“, einem fast zehnminütigen Klammerbluesklassiker. Und natürlich die stoßartigen Rhythmusfiguren, die sich in „Smoke on the Water“ Blackmores charismatischen Gitarrenriffs entgegenstemmen. Der Song über das bei einem Festival verbrennende Festspielhaus von Montreux, mitkomponiert von Lord, zählt zu den Rock-’n’-Roll-Hymnen, die gewiss auch noch gespielt werden, wenn die ganze Welt in Asche liegt.

Jon Lord, 1941 in Leicester geboren, hatte seine Karriere in der Londoner Jazz- und Blues-Szene begonnen. Ab 1963 verfügte der Jimmy-Smith-Fan über eine elektrische Orgel. Mehr noch als den Jazz liebte er die klassische Musik, die Beethoven-Zitate und Streicherfugen auf „The Book of Taliesyn“, dem zweiten Album von Deep Purple, gehen auf ihn zurück.

Sein „Concerto for Group and Orchestra“ wurde 1969 mit dem London Philharmonic Orchestra in der Royal Albert Hall aufgeführt. Die Idee, Rock und Sinfonik miteinander zu verschmelzen, geboren aus einem Minderwertigkeitsgefühl heraus, führte den Pop auf einen Irrweg. Lords Lieblingsplatte war „Made in Japan“, eine Live-Leistungsschau zwischen Hard- und Schmockrock. Er spielte bei Whitesnake, stieg 2002 endgültig bei Deep Purple aus und veröffentlichte 2010 das klassisch instrumentierte Album „To Notice Such Things“. Am Montag ist Jon Lord mit 71 Jahren in London an den Folgen von Bauchspeicheldrüsenkrebs gestorben. Christian Schröder

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