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Dekonstruktivismus: Königin und König

Berliner Mosse-Lecture: Hélène Cixous erinnert sich an ihre Freundschaft mit Jacques Derrida.

Von Gregor Dotzauer

Wie oft musste man noch in den achtziger Jahren die Literarisierung des philosophischen Denkens gegen die Sachwalter einer vermeintlich strengen Wissenschaft verteidigen. Die Einbildung, es gebe so etwas wie ein reines, metaphernloses Denken, das seine Aussagen trifft, ohne von der Sprache aufgehalten zu werden, hatte vielleicht schon Friedrich Nietzsche zerstört. Martin Heidegger hatte einzelnen Wörtern ihren Sinn abgelauscht, aber zwischen den Silben, in den bedeutungsstiftenden Lücken von Morphemen und Phonemen, kletterte so richtig erst ein Denken herum, das man heute vereinfachend dekonstruktivistisch nennt.

Wenn Jacques Derrida sein König war, dann war Hélène Cixous seine Königin. Sie waren nicht eigentlich ein Paar, aber ein Gespann, deren magische, 40 Jahre bis zu Derridas Tod 2004 währende Beziehung, herkömmliche Unterscheidungen von Liebe und Freundschaft hinter sich lässt – das lebendigste Beispiel jener vielfältigen Grenzverwischungen, die sie sprechend und schreibend praktizierten.

Die Anknüpfungspunkte waren auch biografischer Natur. Hélène Cixous, 1937 in Oran geboren, stammte wie Derrida aus Algerien, außerdem teilten sie miteinander eine jüdische Herkunft und ein Interesse für die Psychoanalyse Lacan’scher Prägung. Bei allen Gemeinsamkeiten setzten sie aber auch durchaus unterschiedliche Akzente: er, indem er sein Denken literarisch auflud, sie eher, indem sie ihr Erzählen philosophisch auflud. Auch als Theoretikerin der sexuellen Differenzen und Ambivalenzen und als Anwältin eines weiblichen Schreibens blieb sie eine Schriftstellerin, von der auf Deutsch gerade die Erzählung „Der Tag, an dem ich nicht da war“ (Passagen Verlag, 163 Seiten, 21,90 €) erschienen ist. Eine Erinnerung an den einsamen Tod ihres mit dem Down-Syndrom zur Welt gekommenen Sohnes. Und eine weitere Variation über das Thema der Abwesenheit, das ihr Werk seit dem frühen Tod des Vaters beherrscht.

Neben Luce Irigaray und Julia Kristeva ist Hélène Cixous heute eine der letzten großen Figuren eines dekonstruktivistisch geschulten Feminismus – und ihre charismatischste Vertreterin. Aber als sie am Mittwochabend 90 Minuten lang den Senatssaal der Berliner Humboldt-Universität mit dem Verlesen eines 40-seitigen Manuskripts flutete und es nach und nach mehr Zuhörer vor die Türen spülte, da war von der einstigen Faszination ihres Denkens nicht mehr viel übrig. Am Ende blieb Christina von Braun, die Cixous eingeführt hatte, nicht viel mehr, als zu erklären, dass die beste Antwort auf die poetisch mäandernden Einlassungen wohl Schweigen wäre.

Die Mosse-Lecture „Promised Belief – or Life after Life“, die Geschichte ihres „einzigartigen Disputs“ mit Jacques Derrida, kreiste um Literatur als Religion, Gott und das Zittern des Betenden, um Abschied, Tod und Auferstehung – aber letztlich nur um sich selbst.

Sie war als Text weder schlechter noch besser als das, was die unermüdliche Cixous sonst geschrieben hat. Doch wo man früher neugierig zugehört hätte, wie die Sprache zwischen Dieu (Gott) und d’yeux (auf die Augen bezogen), foi (Glaube) und une fois (einmal) ihren eigenen Gegenstand erschafft, da hört man heute nur noch das Klappern einer historischen Sprechweise, eine mit kleinsten semantischen Verschiebungen operierenden Minimal Music bei maximalem Begriffseinsatz. Das Idiom verschluckt jedes Thema.

Die negative Theologie, die hier getrieben wird, hat ohne Verluste längst analytischere, klarere Formen gefunden. Es ist jedenfalls mehr als zweifelhaft, ob auch nur einer der hochmögenden Professoren, die Cixous ohne Manuskript folgen mussten, in der Lage gewesen wäre, ihre Grundgedanken zu umreißen.

Wie soll das auch gehen bei einer Prosa, die ihre syntaktischen Bezüge fortwährend vernebelt und auf ihre elegische Art über jedes mögliche Satzende hinwegrappt. „Wir hören nie auf, von Gott zu sprechen“, heißt es da, wenn man das, was Französisch war und Englisch wurde, ins Deutsche übersetzen könnte, „von Gott, der nicht existiert, wir hören auf und fangen an, wir hören auf anzufangen und beginnen von neuem, ohne jemals aufzuhören, um es so spät wie möglich zu beenden, wir sprechen von seinem Handwerk und seiner Kunst von meinem Handwerk und meiner Kunst, deren Gegenstand mir zufolge das Leben ist, obwohl man am Ende stirbt – während meinem Freund zufolge Denken Leben und Ans-Ende-Denken ist und am Ende zu denken, dass wir zu schnell sterben und indem wir das Zuschnell denken, ist alles, was man tun kann, das Denken darüber zu verlangsamen, was das Zuschnell bedeutet.“

So geht das hin und her, virtuos und nicht einmal ohne Reiz, doch wie es sich immer weiter dreht und dreht, hat man den Eindruck, einem Hütchenspieler zuzusehen. Wenn er seine Behältnisse alle auf einmal heben müsste, wäre da womöglich: nichts. Hélène Cixous würde es hinbekommen, auch das noch zu einer theologischen Auskunft zu adeln.

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