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Kultur: Den Dingen auf den Grund gehen

Ein Schatz mit 20000 Teilen: Das Werkbundarchiv hat in Kreuzberg ein neues Domizil gefunden

Ein Picknickkorb ist schnell gepackt. Geschirr, Besteck, kalte Getränke, etwas Obst, vielleicht gegrillte Hähnchen, dazu eine Decke. Fertig. Raus in die Natur, sich ein schönes Plätzchen suchen. Das Werkbundarchiv – Museum der Dinge packt morgen seine Picknickkoffer-Sammlung zusammen, verlässt die Räume im Martin-Gropius-Bau und lässt sich an einer anderer Stelle nieder, in der Kreuzberger Oranienstraße. Im selben Gebäude ist schon die Neue Gesellschaft für Bildene Kunst (NGBK) untergebracht. Der Ausflug, der mit einem Sommerfest gefeiert wird, ist ein Schritt in die Zukunft. Denn die Sammlung, bislang noch ein eher unbekannter Schatz der Berliner Museumsszene, will sich hier auf Dauer häuslich einrichten.

Noch verströmen die Räume in dem Werkstattgebäude aus der Zeit um die vorletzte Jahrhundertwende den Charme eines Bürogebäudes. Die Zimmer sind klein und mit robustem Teppich ausgelegt, die hohen Decken abgehängt. Nicht gerade ein Ort für ein idyllisches Picknick. „Beim Picknick lässt man sich dort nieder, wo es gut ist, man kommt ins Gespräch, genießt die Zeit“, sagt Kuratorin Renate Flagmeier. Zum symbolischen Einzug präsentiert das Werkbundarchiv - Museum der Dinge eine Picknickkoffer-Sammlung, die es im letzten Jahr erworben hat. Körbe aus kreischend buntem Plastik, ein Gruß aus den Sommern der Siebzigerjahre, bringen Farbe in die Leerstands-Tristesse. Aber es gibt auch kleinteilig verschachtelte Essbehälter aus China und britische Körbe mit kariertem Innenfutter zu sehen. Futuristisch anmutende Falttaschen lassen die Zukunft der Picknickkultur erahnen. Im Raum nebenan steht eine „Ding-Google-Maschine“, mit der die Besucher einen Teil der Sammlungsbestände – 20000 Gegenstände – entdecken können. Solange nicht geklärt ist, ob das Museum sich tatsächlich im neuen Domizil einrichten kann, bleiben die Dinge verschnürt und verpackt im Magazin des Gropius-Baus.

Einzigartig ist die Sammlung schon deshalb, weil sie die museal ansonsten übliche Trennung zwischen den Preziosen der Hochkultur und den profanen Objekten des Alltags aufhebt. Neben einem Armlehnstuhl des Jugendstilmeisters Heinrich Vogeler oder dem „Schneewittchensarg“ der Firma Braun finden sich frühe Schaufensterpuppen aus Wachs, bei Kriegsende zu Kochtöpfen umfunktionierte Stahlhelme, DDR-Eierbecher in Hennenform oder Zigarillo-Päckchen der Marke „Sprachlos“. Ein großes Warentheater, aus dem sich vergangene Gegenwart mühelos rekonstruieren lässt.

Mit seinem etwas umständlichen Doppelnamen knüpft das 1973 gegründete Werkbundarchiv – Museum der Dinge an die Visionen des Deutschen Werkbundes an. Kern der Sammlung ist das Dokumenten-Archiv des Werkbundes, zu dem die Nachlässe von Designern und Architekten wie Hermann Muthesius oder Richard Riemerschmid gehören. Der Werkbund war 1907 ins Leben gerufen worden, Ziel war die „Veredelung der gewerblichen Arbeit“. Künstler und Industrielle – von der AEG bis Pelikan – taten sich zusammen, die Gebrauchsgegenstände, die sie herstellten, sollten funktional und qualitativ hochwertig sein.

Vom lebensreformatorischen Überschwang der Galionsfiguren Peter Behrens, Walter Gropius und Ludwig Mies van der Rohe haben sich die heutigen Werkbund-Aktivisten verabschiedet. Ihre Mission ist bescheidener: aufmerksam zu machen auf die Dinge, die uns täglich umgeben. 1999, nach dem Umbau des Gropius-Bau, gab sich das Werkbundarchiv den Namenszusatz „Museum der Dinge“. Doch als das Gebäude 2001 vom Bund übernommen wurde, segelte dem Archiv die Kündigung auf den Tisch. Ende 2002 musste das Museum seine vier Ausstellungsräume räumen. Bibliothek, Verwaltungsräume und das Magazin werden seither geduldet. Als neues Quartier waren zwischenzeitlich eine alte Schule und der Pfefferberg am Prenzlauer Berg, in räumlicher Nähe zum Vitra-Design-Museum, im Gespräch.

In Kreuzberg könnte nun endlich die Zeit des Unbehaustseins zu Ende gehen. „Die Lage ist nicht so zentral. Aber wir setzen auf Synergieeffekte, da wir ein ähnliches Publikum wie das NGBK ansprechen“, sagt Kuratorin Renate Flagmeier. Der Haken: Bisher waren in der Finanzierung durch die Stadt Miete und Betriebskosten nicht eingerechnet, da das Archiv mietfrei im Martin-Gropius-Bau logierte. Durch den Umzug steigt die jährlich benötigte Summe des Museums nun um 100000 Euro auf 340000 Euro. Zusätzliche Kosten, die erst noch vom Senat bewilligt werden müssen. Im November könnte der Umbau, im Februar der Umzug beginnen. 2007 will der Werkbund zwischen Jugendstil-Porzellan, DDR-Brettspielen und antiken Persil-Paketen im neuen Haus sein 100-jähriges Bestehen feiern. Gut Ding will Weile haben.

Das Sommerfest mit Picknickkoffern in der Oranienstr. 25 (Kreuzberg) beginnt am Samstag um 17 Uhr.

Swantje Dake

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