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Kultur: Den Papst verstehen

Ein

von Thomas Lackmann

In zweitausend Jahren Kirchengeschichte sind hundert Tage wenig, aber viel für das eben begonnene Regiment eines 78Jährigen. Zeichenlesen im Kaffeesatz: Wie funktioniert dieser Papst?

Er liest Ansprachen ab (der Professor). Lässt vor Milliarden Zuschauern das lange Haar flattern (cool). Sein Ex-Auto steigt exorbitant im Wert (Super-Promi). Er spielt laut Klavier (ein Musensohn). Hat eine Singsang-Stimme (kleiner Junge). Segnet aus dem Hubschrauber das Dorf seines Piloten (ein Showmaster). Setzt als Oberglaubenswächter seinen Ex-Mitarbeiter Leveda ein, mit dem er immer gern Essen ging (ein Team-Spieler). Er reagiert mit weicher Bremsung auf die Santo-Subito-Hysterie für Johannes Paul II. (gelassener Apparatschik).

Hundert Tage Hinweise: Er ist so, wie sich jede individuelle Fantasie den Neuen vorstellen möchte. Die pontifikale Projektion. Beim ersten Blick bleibt den Deutern das Klischee. Zeichen bedeuten im Medienbetrieb Oberfläche, viel und nichts. Aber beim Thema Kirche geht es nicht ohne Zeichen. Sie selbst definiert sich als Zeichen, als Zeichen der Gegenwart Gottes. Und dieser Papst setzt Zeichen pointierter als sein Vorgänger. Das liegt am Einstiegsalter und Naturell beider Pontifexe. Papst Wojtyla war anfangs jung und stark, er schien sich – viril und impulsiv – jeden Kraftakt zuzumuten: Universalität durch physische Omnipräsenz. Benedikt XVI., genesen von zwei Schlaganfällen, muss sparsamer akzentuieren. Das passt zu seiner ästhetischen, intellektuellen Präzision. Reisen wird er wohl symbolisch wie Vorvorvorgänger Paul VI. (eine Visite pro Kontinent).

Sein Papst-Name ist Selbstbezeichnung. Mönchsvater Benedikt war der spirituelle Neuordner Europas in der Zeit der Völkerwanderung. Benedicare ist nicht nur „gut reden“, sondern das „Segnen“: die Weitergabe unsichtbarer Kraft. Ratzinger ist so klug zu wissen, dass solch ein Segnungsbewusstsein sichtbare Gerechtigkeitsstrukturen braucht.

Ein Zeichen der Kirche ist die Liturgie. Die erste Konstitution des II. Vatikanischen Konzils hatte den Gottesdienst entstaubt. Ratzinger steht für Kontinuität: seine eigene. Nicht die Glaubensüberwachung, durch die sein Image als Kettenhund entstand, ist sein Lebenswerk, sondern die Konzilstheologie. Dass er alte Riten zum Sprechen bringen will, zeigten seine Mondovisions-Messen vor dem Petersdom. Beim Requiem für Johannes Paul II., während des Interregnums, reichte er dem reformierten Prior von Taizé, Roger Schutz, die Kommunion. Ein Signal: Weltöffentlichkeit für eine sonst diskret praktizierte Ausnahme. Prior Schutz im Rollstuhl streichelte den Arm des Kardinaldekans, der dann Papst wurde. Zwei alte Herren, die einen langen Weg der Ökumene gegangen sind und weitergehen. So was inszeniert man nicht.

Zur Selbstbezeichnung gehört sein Bischofswappen, das er als Papst weiterführt, mit drei Symbolen. Der gekrönte Mohr mit Ohrring steht für die Universalität der Kirche; der zum Lastenträger gewandelte Bär für die demütige Dienstleistung des Amtsträgers. Ratzingers Lieblings-Accessoire ist die Muschel – Symbol für die Wanderexistenz des Christen und das ozeanisch tiefe Mysterium Gottes. Seifenblasen, Sentimentalität, Showeffekte? Was wird aus den Schwulen, den Frauen, den Zölibatsknechten etc.? Und zur Selbstbezeichnung gehört auch sein Bischofsmotto „cooperatores veritatis“: ein Zitat aus dem 3. Johannesbrief. „Mitarbeiter der Wahrheit“ – im Plural. Die Wahrheitsfrage nennt Ratzinger die Gottesfrage. Die Wahrheit ist für ihn Person. Man kann mit ihr kooperieren. Ihre Erkenntnis ist ein Prozess. Gemeinschaftsarbeit. Hierarchisch? Demokratisch? Lasset uns deuten.

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