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Kultur: Den Rücken stärken

Warum Politiker und Manager sich gerne mit Gemälden oder Skulpturen porträtieren lassen

Seit etlichen Jahren lassen sich ranghohe Vertreter aus Wirtschaft und Politik gerne vor dem Hintergrund moderner Kunst fotografieren. Kaum einer, der es nicht schon gemacht hat, wobei sich öfter seltsame Paarungen ergeben: Rolf-Ernst Breuer vor Günther Förg, Gerhard Schröder vor Georg Baselitz, Guido Westerwelle vor Norbert Bisky, Hubert Burda vor Willi Baumeister.

Allerdings stellen sich die Mächtigen nicht vor die moderne Kunst, um sie zu schützen; vielmehr bedienen sie sich ihrer, weil sie sich davon Vorteile erhoffen. Immerhin gehört Kunst zu den wenigen Dingen, die ein rundum gutes Image besitzen: Sie gilt als stimulierend oder befreiend, als Hort des Wahren und Guten. Deshalb befürchten auch viele, die mit moderner Kunst Schwierigkeiten haben, selbst nicht gebildet oder sensibel genug zu sein, um zu begreifen, was sie auszeichnet. Entsprechend bewundern sie die bedeutenden Männer, die sich ganz selbstverständlich – und nicht ohne Stolz – vor einem großformatigen Gemälde oder einer imposanten Skulptur platzieren: Verfügen sie nicht über ein Maß an Kennerschaft, das sie weit über den Durchschnitt erhebt – und rechtfertigt diese nicht, dass sie hohe Positionen bekleiden?

Doch wer sich zusammen mit Kunst ablichten lässt, kann nicht nur Eindruck machen, weil er auf einem schwierigen Feld zurechtkommt. Man wird auch dazu neigen, ihn mit den Qualitäten zu identifizieren, die der Kunst zugesprochen werden. Spätestens seit der Moderne gilt diese als innovativ, risikobereit, kompromisslos, dynamisch und vorwärtsorientiert, womit sie genau das Eigenschaftsprofil aufweist, das heute von einem Spitzenmanager erwartet wird. Dass sie zudem als Ort humanistischer Werte gepriesen wird, veredelt den sonst etwas einseitig martialischen Tugendkanon und schützt die Mächtigen aus Politik und Wirtschaft davor, nur als Avantgarde im ursprünglichen, nämlich im militärischen Sinn wahrgenommen zu werden. So aber, mit der Kunst im Rücken, können sie sich als ebenso besonnene wie tatkräftige Persönlichkeiten profilieren.

Allerdings wurde das Bildschema „Mächtiger plus Kunstwerk“ in den letzten Jahren so oft verwendet, dass seine Wirkung schon nachgelassen hat. Kunst ist ein zu geläufiges Accessoire geworden, um noch eigens aufzufallen und den erwarteten Respekt zu erzeugen. Einige Fotografen haben dies offenbar erkannt, denn mittlerweile finden sich auch originellere und subtilere Varianten des gemeinsamen Auftritts von Kunst und Macht. Eines dieser Beispiele stammt von Andreas Pohlmann, der den Vorstandschef der Münchner Rückversicherung, Hans-Jürgen Schinzler, in Szene setzte.

Dabei steht die Kunst ausnahmsweise im Vordergrund – und zwar in Gestalt eines Modells des „Walking Man“, der großen Skulptur von Jonathan Borofsky, die seit einigen Jahren als Wahrzeichen der Rückversicherung vor deren Zentrale in der Münchner Leopoldstraße steht. Behende und leichtfüßig schreitet die Figur nach rechts; ihr gegenüber wirkt der Vorstandschef klein, vor allem aber unbeweglich: Ganz gerade steht er da, die Hände in den Taschen vergraben, den Mund zusammengekniffen, ernst – obwohl das Foto noch vor dem Einbruch des Aktienkurses entstand.

So bilden Kunst-Figur und Vorstandschef einen Kontrast, und der eine scheint mit der anderen nicht viel gemeinsam zu haben – wäre da nicht, als drittes Element, im Hintergrund eine rätselhafte Silhouette. Auf den ersten Blick vermutet man darin den Schatten Schinzlers, merkt dann jedoch, dass er nicht von ihm stammen kann, da die dritte Person schreitet. So nimmt diese Silhouette eine mittlere Position zwischen dem „Walking Man“ und Schinzler ein, ja ist gleichsam eine Paraphrase auf beide, was es erlaubt, das Kunstwerk doch noch mit dem Vorstandschef in Beziehung zu setzen und ihm die Eigenschaften zuzusprechen, die sonst nur der Skulptur zukämen. Auf einmal ist er also nicht nur, dank seiner festen Haltung, der Gewährsmann für Stabilität und Prinzipientreue, sondern erscheint ebenso als Garant für Fortschritt und Flexibilität. Vermittelt durch den Schatten im Hintergrund, erhält Schinzler durch die Borofsky-Figur eine zusätzliche Dimension, und es wiederholt sich auf diesem Foto das Prinzip der zwei Körper des Königs, das in mittelalterlichen Monarchien eine große Rolle spielte: Der Mächtige hat nicht nur einen leiblichen, sondern ebenso einen symbolischen Körper, der überzeitlich ist und den Fortbestand des Regimes – oder eben der Versicherung – repräsentiert. Aber nicht nur als zeitgemäße Variante einer alten Herrschaftsikonographie beeindruckt Pohlmanns Foto. Vielmehr gelingt es ihm auch, Kunst so überlegt ins Spiel zu bringen, dass er nicht nur deren positives Image benutzt, sondern das Potenzial eines einzelnen Werks zugunsten der von ihm fotografierten Person entfaltet.

Der Münchner Kunsthistoriker veröffentlichte 2000 das Buch „Mit dem Rücken zur Kunst“ (Verlag Klaus Wagenbach, Berlin).

Wolfgang Ullrich

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