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Kultur: Denken muss bissig sein

Konformisten waren ursprünglich nichts anderes als Gläubige, genauer gesagt: Staatsgläubige. Gemeint waren damit die englischen Protestanten, die nach 1662 der Staatskirche beitraten.

Konformisten waren ursprünglich nichts anderes als Gläubige, genauer gesagt: Staatsgläubige. Gemeint waren damit die englischen Protestanten, die nach 1662 der Staatskirche beitraten. Alle anderen, die den „Act of Uniformity“ nicht anerkannten, Presbyterianer, Quäker oder sonstige „Dissenter“, galten als Nonkonformisten und hatten mit Sanktionen zu rechnen. Seinen negativen Beiklang hat der Begriff erst im Zeitalter des Totalitarismus bekommen, das den Konformisten als „autoritätsgebundenen Charakter“ (Adorno) zum idealen Untertan und Mitläufer machte. Dabei wurde sein Ruf so weit vergiftet, dass das Gegenmodell inzwischen zum gesellschaftlichen Leitbild aufstieg, der Abweichler. Längst sind die Talkshows von sogenannten Querdenkern bevölkert, und der Kulturbetrieb hofiert Exzentriker.

Wir leben in einer „Republik der Außenseiter“, konstatiert die Kulturzeitschrift „Merkur“ in ihrem aktuellen Sonderheft („Sag die Wahrheit! Warum jeder ein Nonkonformist sein will, aber nur wenige es sind“, Klett-Cotta, 241 S., 21,90 €). Die vermeintlichen Tabubrecher, die „sich als verwegene Unzeitgemäße geben“, seien in Wahrheit bloß „blinzelnde Opportunisten des Zeitgeistes“, schreiben Karl Heinz Bohrer und Kurt Scheel im Vorwort. Der Band ist so etwas wie ein programmatisches Abschiedsgeschenk der beiden Herausgeber, die ihr Amt zum Jahreswechsel an den Kunstwissenschaftler Christian Demand abgeben. Die Wahrheit nach der Devise „no risk, no fun“ auszusprechen, das war in den beinahe dreißig Jahren ihrer Herausgeberschaft das Credo von Bohrer und Scheel, eines anarchischen Konservativen und eines – nach eigener Einschätzung – „Linken mit sozialdemokratischem Hau“. Der Fun muss dabei bis zuletzt groß gewesen sein, denn im Sinne eines wahren, existenziellen Nonkonformismus gingen die beiden Meinungskombattanten keiner Debattenschlacht aus dem Weg.

In einem Interview mit der „taz“ hat Kurt Scheel sich nun noch einmal über Gutmenschen, Wutbürger, überhaupt das ganze „naive Legoland-Denken in den Zeitungen oder im Bundestag“ aufgeregt. Nach 1989 war der „Merkur“ als neokonservativ tituliert worden, weil er für die Wiedervereinigung eintrat. Nach dem 11. September galt er als kriegstreiberisch, weil er die Werte des Westens verteidigte und den Islam als illiberal beschrieb. Scheel spricht von „Seins- statt Sollensvorstellungen“ und erklärt, dass ihm Medienmenschen, die im Duktus von „Was die Menschheit jetzt tun muss“ auftreten, unsympathisch seien. Der „Merkur“ wollte immer eindeutig sein und schoss dabei bisweilen übers Ziel hinaus. Privat hat Scheel nichts gegen Gemütlichkeit, aber Denken müsse wie ein Foxterrier sein: bissig.

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