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Holocaust-Mahnmal in Berlins Mitte

© dpa

Denkmal-Debatte: Im Dickicht der Stätten

Berlin debattiert über das Einheitsdenkmal – unser Autor Michael Zajonz macht einen Rundgang durch die vielfältige Gedenk-Topografie der Hauptstadt.

Mit Besuchern steigen Berliner am liebsten aufs Kreuzbergdenkmal. Ein kleiner sportiver Spaziergang, Kaffee oder Eis zwischendurch, und oben ein Rundblick bis an die Grenzen der Stadt. Inmitten gut gelaunter Sonnen- und Ausblickshungriger macht Kreuzberg richtig Spaß.

Nur wenigen Kreuzbergfans dürfte bewusst sein, dass das in meditativem Grün gehaltene Denkmal an vergangenes Blutvergießen erinnert. Und kaum jemand wird in seinen engelsgleich geflügelten Gusseisenfiguren Mitglieder des preußischen Königshauses erkennen. Etwa die 1810 gestorbene Königin Luise. Sie posiert als Siegesgöttin von Paris.

1821 wurde das preußische Nationaldenkmal für die Befreiungskriege gegen Napoleon eingeweiht. Karl Friedrich Schinkel entwarf das Monument aus heimischem Gusseisen. Sein neogotischer Stil galt im Zeitalter des erwachenden Nationalismus als vaterländisch, Eisen seit der Stiftung des Eisernen Kreuzes durch den König 1813 als besonders patriotisches Material. Erinnert wird an zwölf für Preußen bedeutsame Schlachten: vom Gemetzel bei Großgörschen am 2. Mai 1813, wo der preußische Heeresreformer Scharnhorst seine tödliche Wunde empfing, bis zum endgültigen Sieg über Napoleon bei Waterloo – euphemistisch Belle-Alliance genannt – am 18. Juni 1815.

Soll man es einem Denkmal verübeln, wenn sich niemand mehr erinnert? Oder die geglückte Konversion zum Aussichtsturm preisen? Für Schinkels Denkmalsabstraktion spricht, dass sie sich längst von ihrem Bedeutungsanspruch gelöst hat. Also Weihestätten zu Spielwiesen? Über das Stelenfeld des Holocaust-Mahnmals klettern schon jetzt die Touris und Teenies. Peter Eisenman, der jüdische Architekt aus New York, der es nach jahrelangem Denkmalstreit entworfen hat, findet das nicht mal besonders verwerflich. Sein Denkmal wird zum Denk-mal erst durch den Ort der Information, der dem Insistieren des damaligen Kulturstaatsministers Michael Naumann zu danken ist. Denkmäler wie dieses brauchen den produktiven Streit. Etwas mehr davon täte auch dem im ersten Anlauf erwartbar gescheiterten Einheits- und Freiheitsdenkmal gut.

Zu Kaisers Zeiten war Berlin eine Stadt voller Denkmäler. Mehr oder weniger naturalistische Standbilder gekrönter Häupter, siegreicher Militärs und des ein oder anderen Wissenschaftlers. Bierernst gemeint, doch von den Berlinern gern verspottet: wie die als Puppenallee verballhornte Siegesallee, die Kaiser Wilhelm II. im Tiergarten installieren ließ. Die nach 1945 vergrabenen Reste des über 100-köpfigen Ensembles werden derzeit in die Spandauer Zitadelle geschafft, um sie ab 2012 in einer neuen Dauerausstellung über Berliner Denkmäler zu zeigen. Kein Thema mit Priorität.

Die Siegesallee gehört – wie das Kreuzbergdenkmal oder das künftige Einheits- und Freiheitsdenkmal – zu einem Denkmaltypus, der nicht Einzelne, sondern übergreifende Ideen oder historische Ereignisse würdigt. Die um 1900 geschaffenen Marmorstandbilder brandenburgisch-preußischer Herrscher verkörpern das abstrakte, wenig anschauliche Preußentum, wie es sich Wilhelm II. herbeifantasiert hat. Das Denkmal als Wille und Vorstellung. Als Herrschaftssymbol ist es stets anfällig für Neuinterpretation und Umdeutung. Das musste schon Johann Gottfried Schadow mit seiner Quadriga auf dem Brandenburger Tor erfahren, die, als Friedensgöttin gedacht, 1806 von Napoleon nach Paris verschleppt, bei der Rückkehr 1814 zur Siegesgöttin mutierte.

Schwerer noch traf es die Siegessäule als Denkmal preußisch-deutscher Kriege 1864, 1866 und 1870/71. Hitlers Architekt Albert Speer ließ sie vom Reichstag an den Großen Stern versetzen, die Siegermächte hätten sie nach 1945 beinahe als Militarismussymbol geschleift. Inzwischen dient sie Ravern, Fußballfans und der Berliner Schwulenszene als Identifikationsobjekt. Oder als weltweites Medienbild beim Auftritt von Barack Obama.

Es gehört offenbar zum Schicksal von Ideen- und Ereignis-Denkmälern, ästhetisch schnell zu veralten. Den sowjetischen Ehrenmalen in Treptow, Schönholz und im Tiergarten ist – wie allen Soldatenfriedhöfen – ein Pathos eigen, dessen Peinlichkeit inzwischen gnädig von Patina und Vegetation überdeckt wird. Das Denkmal für die getöteten Piloten und für die besonderen Leistungen während der Luftbrücke, von den Berlinern respektlos Hungerharke getauft, scheint vor dem verwaisten Flughafen Tempelhof wie in verstaubten West-Berlin-Kulissen abgestellt und gründlich vergessen worden zu sein.

Weit überzeugender innerhalb der Berliner Gedenklandschaft wirken authentische Orte wie die Gedenkstätte Plötzensee oder die „Topographie des Terrors“. Dort hat sich Originales erhalten – selbst wenn es sich um Relikte der Täter handelt. Sie verweisen eindringlicher auf Leerstellen, die die Opfer hinterlassen haben, als viele Denkmalinstallationen. In der Zentralen Gedenkstätte der Bundesrepublik Deutschland für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft, Schinkels Neuer Wache Unter den Linden, wurde etwa auf Wunsch Helmut Kohls die „Pietà“ von Käthe Kollwitz auf das Vierfache vergrößert. Bei der Mauergedenkstätte Bernauer Straße, gestaltet vom Stuttgarter Architekten Sven Kohlhoff, fühlten sich Opferverbände durch die zunächst gewählte undifferenzierte Inschrift diskriminiert.

Hilflose bis ärgerliche Versuche des Opfergedenkens sind in Berlin nach 1990 oft die Regel geblieben. Es sei denn, ein Künstler wie Micha Ullmann kann eine brillante Idee durch alle Instanzen des Wettbewerbswesens zum überzeugenden Ende führen. Ullmanns 1995 eingeweihter, unzugänglicher Gedenkraum für die Bücherverbrennung 1933 unter dem Pflaster des Bebelplatzes lässt physisch erahnen, was Verlust bedeutet. Und was Erinnerung daran vermag.

Verpflichtende Geschichte: Die Deutschen tun sich seit 1945 schwer mit ihren Helden. Die von 1989 hätten ein intelligent gemachtes Denkmal verdient. Oder zumindest eine kluge allgemeine Debatte.

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