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Kultur: Denn sie wissen schon, was sie tun

Vor neun Jahren holte Richard Linklater mit der federleichten Liebesgeschichte „Before Sunrise“ den Silbernen Berlinale-Bären. In „Before Sunset“ begegnen sich Julie Delpy und Ethan Hawke wieder

Zur Zeit inseriert eine britische Fluggesellschaft in deutschen Zeitungen mit dem Slogan, London sei die Stadt der Liebe. Das ist fraglos britischer Humor at its best. Denn gemeinhin gilt Paris als die Stadt der Liebe, und das sogar unter amerikanischen Regisseuren und Regisseurinnen. Was begehrt das Herz, wenn es denn unter den Großstädten etwas begehrt? Paris, of course!

Alles Unsinn. Denn wie jedermann weiß, ist Berlin die Stadt der Liebe – schließlich hat Richard Linklater vor neun Jahren auf der Berlinale mit „Before Sunrise“, in dem Wien die Stadt der Liebe war, den Silbernen Bären geholt. Und auch das Sequel „Before Sunset“, in dem, nunja, Paris die Stadt der Liebe ist, obwohl sie manchmal wie Rothenburg ob der Tauber aussieht, hat selbstredend auf der Berlinale Premiere. Und wenn es dafür laut Statut keinen Bronzenen Bären gibt, dann müsste er zu diesem Zwecke eben schnell gegossen werden.

„Before Sunrise“ 1995, wissen Sie noch? Natürlich wissen Sie noch. Obwohl Sie vielleicht den wunderbaren langen Blick-Nichtwechsel in der Vinyl-Plattenladenkabine vergessen haben, der allein schon die Wiederbesichtigung lohnt. Aber die Pariser Studentin Céline (Julie Delpy) und der amerikanische Interrailer Jesse (Ethan Hawke) und wunderbar zielloser One-Night–Talk’n’Walk durch Wien inklusive Sex vor Sonnenaufgang im Park – das wissen wir doch wie heute. Und dass eine Reisebekanntschaft, ein glücklicher Zufall im Zug, ein Leben verändern kann – vor allem, wenn man so jung ist wie damals Jesse und Céline. Und dass man sich nach 14 durchträumten Stunden, bevor jeder seiner einstweiligen Wege fährt oder fliegt, bloß verabreden muss, heute in genau einem halben Jahr, und dann machen wir einfach weiter nach dem letzten Kuss.

In der Stadt der Liebe weiß man solche Sachen. Und auch, dass sie meistens ganz anders ausgehen. Ein halbes Jahr ist eine lange Zeit, besonders wenn man Anfang 20 ist. Und one night things passen da immer mal dazwischen. Meistens erscheint dann keiner mehr zum verabredeten Treffpunkt. Oder schlimmer: Bloß einer. Am schlimmsten aber: Die beiden hätten sich damals tatsächlich wiedergesehen – und keinen Film darüber gemacht.

One night thing: so nennen Céline und Jesse die Begegnung, die sie neun Jahre später in „Before Sunset“ wiederholen. Ach was, wiederholen, schließlich ist das hier ein Sequel in unser aller Realzeit. Kein Remake. Die Schauspieler sind zauberhaft älter geworden, der Regisseur und seine Crew, die diesen Film machten, den man eingangs ein one afternoon thing nennen könnte, sind entspannt älter geworden, auch wir Zuschauer sind ordentlich, unordentlich älter geworden. Und plötzlich haben wir alle, im Saal und auf der Leinwand, eine Verabredung der besonderen Art in der Stadt der Liebe.

Ganz zufällig ist eine Wiederbegegnung in der Regel für keinen, weder für uns noch für die Figuren. Jesse ist ausgerechnet mit einem Buch über jene Nacht in celinischen Wien zum Bestseller-Autor geworden – und gerade auf Lesetour in Paris, wo Céline noch immer lebt. Hat er das Buch vielleicht nur geschrieben, um eben jenen Augenblick in der Buchhandlung Shakespeare & Company heraufzubeschwören, in dem Céline, die das Buch natürlich schon kennt, plötzlich in einer Seitenstür steht? Fragen wir uns. Und natürlich werden auch unsere Liebeshelden bald diese Frage aussprechen.

Wie überhaupt alles zur Sprache kommt, was auch du oder du dir vorstellst für eine solche ersehnte oder gefürchtete Wiederbegegnung oder vielleicht schon erlebt hast, wenn du, wie Ethan oder Julie heute, schon ein bisschen über 30 bist. Reden wir daher lieber über Julie und Ethan, aber lassen wir ihnen hier gleich – versprochen! – fast jedes Geheimnis. Also erstens: Sie sehen immer noch gut aus. Schön, Julie hat neben ihren zarten Lachfalten ein paar Schmerzfältchen dazubekommen, und Ethan hat zwischen den Augen eine richtige Kerbe. Aber macht nichts, ganz im Gegenteil. Zweitens trägt Julie immer noch eher so Hippieklamotten und ist überhaupt weniger hip als Ethan, der mit hellem Blümchenhemd, feiner Jeans und Blazer durch Paris spaziert. Drittens spazieren sie wirklich ganz gemächlich und sitzen auch mal ganz gesetzt im Café. Nicht dieses Durch-die-Welt-Schlenkern, wenn man jung ist und sich gerade erst kennen gelernt hat, dieses Zappeln dem nächsten allerbesten Glück entgegen.

Und Schluss jetzt. Was sie miteinander reden? Ob es auf und ab geht? Ob sie sich noch immer lieben? Und ist Ethan eigentlich in Wien gewesen damals ein halbes Jahr später oder Céline oder keiner von beiden? Was meinen und wissen die beiden heute und was meinen sie zu wissen und umgekehrt? Und sind sie eigentlich glücklich in ihrem Jetztleben und wenn ja, warum nicht? Und haben sie jetzt wieder Sex miteinander wie damals? Sorry, kriegen Sie nicht, nicht von mir. Müssen Sie schon selber vorbeigucken in einem Kino in der Stadt der Liebe.

Nur das noch: Dieser Film ist oft herzzerreißend traurig, besonders wenn er fröhlich ist. Und herzzerreißend froh, wenn er traurig wird. Er ist vor allem intim. Gehen Sie allein rein oder zu vielen, eher nicht zu zwein. Es sei denn, Sie heißen Julie und Jesse, pardon, ich meine natürlich, Ethan und Céline.

Heute 9.30 und 23.30 Uhr (Royal Palast), 20 Uhr (International), Sonntag 19.30 Uhr 8Berlinale-Palast)

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