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Synthie-Pop-Giganten. Martin Gore, Dave Gahan und Andy Fletcher.

©  Anton Corbijn

Depeche Mode: Ewige Reue

Etwas mehr Techno, aber sonst ist alles mehr oder weniger beim alten Düster-Sound geblieben auf Depeche Modes neuem Album „Delta Machine“. Einzige Überraschung: Die drei besten Song stammen nicht von Martin Gore, sondern von Dave Gahan, der sich allerdings Hilfe bei Produzent Kurt Uenala geholt hat

Wer in den achtziger Jahren jung war, wird sich vielleicht an das Riverboat erinnern. Eine Diskothek auf dem Dach eines Gebäudes am Fehrbelliner Platz in Wilmersdorf. Die Erinnerung ist schon ein bisschen verblasst, aber es gab dort diverse „Unter- Boote“, kleine Räume mit jeweils eigenem DJ und eigenem Stil: Black Music, Pop, Rock und wenn man ganz nach hinten durchging, landete man im Mantic-Boot. Hier trafen sich die sogenannten New Romantics, Vor- oder Mitläufer der Gruftis. Auf dem Weg von England nach Berlin hatten sich die scharfen Trennlinien zwischen diesen Jugendkulturen ein wenig verwischt. Und immer, wenn Depeche Mode damals ein Album herausbrachten, herrschte Ausnahmestimmung im Mantic-Boot: die Musik wurde in den ersten Tagen danach rauf und runter gespielt, noch häufiger als ohnehin schon.

Das Riverboat gibt es lange nicht mehr. Depeche Mode dagegen schon und das grenzt, aus damaliger Sicht, an ein Wunder. Denn bereits nach dem Debütalbum 1980 gab es erste Auflösungserscheinungen, Vince Clarke verließ die Synthie-Band und mit ihm ging der ziemlich unbekümmerte Electro-Disco-Sound der Anfangszeit. Nach und nach zog Schwere in die Songs von Martin Gore, Dave Gahan, Andy Fletcher und vorübergehend Alan Wilder ein. Für die Band und ihre Fans ein echter Glücksgriff, denn nur so konnte man überhaupt gemeinsam überleben und immer größer werden.

Womit wir im Jahr 2013 angelangt wären: „Delta Machine“ heißt das neue, das 13. Werk der Band, die einst in der englischen Retortenstadt Basildon zusammenfand. 13 Songs finden sich auf der regulären CD, 17 auf der Deluxe-Variante. Das kurze, ungeschönte Fazit nach dem ersten Hören: Dem Depeche-Mode-Kanon kann „Delta Machine“ nur bedingt Neues hinzufügen – was bei drei Musikern am Beginn ihres sechsten Lebensjahrzehnts nicht unbedingt verwundert.

Aber ganz so einfach kann man eine Band, die seit 33 Jahren existiert, dann natürlich doch nicht abfrühstücken. Schon gar nicht in Deutschland, dem Land, das den Synthie-Poppern, die irgendwann die Gitarren für sich entdeckten, die Treue hält wie kein anderes. Vier Jahre sind seit dem letzten Album vergangen. Martin Gore sagt in einem Interview, die Band sei glücklicher als je zuvor. Und das ist ja mal eine Ansage aus dem inneren Kreis dieser bislang notorisch niedergeschlagenen Musiker.

Dem Album selbst hört man das neu gefundene Glück allerdings nicht an: Es ist sehr elektronisch geworden, an einzelnen Stellen darf die mittlerweile schon bekannte Blues-Gitarre ein paar Noten zupfen. Schnell aber pulsieren wieder die Synthesizer und schlagen die elektrischen Drums ihren unbeirrbaren Rhythmus. Mit Produzent Ben Hillier bauen Depeche Mode ihre nach wie vor melancholischen Klangwände auf.

Sperrige, harte Sounds dominieren das Album

Synthie-Pop-Giganten. Martin Gore, Dave Gahan und Andy Fletcher.
Synthie-Pop-Giganten. Martin Gore, Dave Gahan und Andy Fletcher.

©  Anton Corbijn

Dave Gahan gibt wie gewohnt den reuigen Sünder und Wanderprediger, der den Hörern voller Inbrunst und gelegentlicher Theatralik seine dunklen Geschichten entgegenwirft. Doch was heißt schon „seine“ Geschichten? Schließlich stammen sie, bis auf drei, vom Depeche-Mode-Mastermind Martin Gore. Dass der besser schreibt als singt, auch das kann man auf „Delta Machine“ erleben. „The Child Inside“ heißt der einzige von Gore intonierte Song. Er erinnert an seine zu Recht eher unbekannten Solo-Sachen und schon nach wenigen Sekunden weiß man, was man an Gahan und seinem dramatischen Gesang hat: Der Sänger mit der ausgiebig diskutierten Drogenvergangenheit macht die in den Texten behaupteten Gefühle erst greifbar, beschwört vom ersten Ton an („Welcome to my world, step into my door“) eine Welt, die schwierig und grausam sein kann, aber auch Erlösung verheißt.

Auf den ersten Blick also alles beim Alten. Und dann doch noch eine Überraschung, vielleicht sogar die eigentliche Sensation von „Delta Machine“: Die drei besten Songs, also die, die sich sofort ins Ohr schrauben, stammen nicht von Martin Gore, sondern von Dave Gahan. Eine Sensation ist das deshalb, weil Gahan die ersten 25 Jahre bei Depeche Mode in Sachen Songwriting nichts zu melden hatte. Woher im Jahr 2013 Gahans plötzliche Fähigkeiten kommen, verrät dann allerdings das Kleingedruckte: Er hat sich sowohl bei den Texten als auch bei den Noten helfen lassen von Kurt Uenala, einem in New York lebenden Schweizer, der unter anderem schon mit Electro-Star Moby an den Knöpfen drehen durfte.

Uenala bedankt sich mit zweieinhalb Hits namens „Broken“, „Should Have Been Higher“ und „Secret To The End“, die an alte Depeche-Mode-Knaller wie „Little 15“ und „Behind The Wheel“ erinnern. Verweise auf früher, die die Band allein so wohl nicht hinbekommen hätte, mit Textzeilen wie „When you are a child, you dream of daylight, you dream of the future, get lost in your songs.“ Ja, so war das mal mit Depeche Mode, als sie noch jung waren.

Von diesen Ausflügen in die Vergangenheit abgesehen, geht es auf „Delta Machine“ insgesamt sehr technoid zu. Dafür ist vor allem Martin Gore mit seiner Vorliebe für minimale elektronische Musik verantwortlich. Entweder hat ihm die vor einem Jahr gemeinsam mit Ex-DM-Mitglied Vince Clarke (als VCMG) herausgebrachte Techno-Platte nicht gereicht oder ihn erst richtig auf den Geschmack gebracht: Sperrige, harte Sounds dominieren „Delta Machine“. Martin Gore ist merklich stolz auf seinen riesigen Fuhrpark an modularen Synthesizern, lässt es – durchaus auch auf Kosten von Kommerzialität und Melodie – ordentlich brummen und knarzen.

Schwer zu sagen, ob das noch der alte Depeche-Mode-Ansatz ist. Der sah ja vor, den Fans nicht immer nur das zu geben, was diese wollten, sondern sie auch zu provozieren. Mit jedem neuen Album verließen Depeche Mode ihre Sicherheitszone. Sie waren den Anhängern einen Schritt voraus, nur um von ihnen einen neuen, noch stärkeren Treueschwur einzufordern. Profaner ausgedrückt: Depeche Mode verlangten von ihrer Gefolgschaft, sich jedes neue Album schönzuhören. Genau dieses Spielchen machte es für beide Seiten spannend – 33 Jahre lang. Aber auch das ist inzwischen Routine geworden, so wie das ganze Unternehmen Depeche Mode.

Ein Dauerkreislauf: Alle paar Jahre kommt ein neues Album, das sich, halb Zuckerwatte, halb Rasiermesser, zumindest im Aufbau kaum von den Vorgängern unterscheidet. Wie Beamte haben Gore und Gahan ihre Songwritingpflichten und -rechte aufgeteilt. Die Formel sieht ein paar Balladen, ein paar schnellere Nummern, eine Handvoll potenzieller Singles vor. Das Cover wagt nichts, die Band wagt nur scheinbar etwas. Und zum Ende hin wird es dann noch mal etwas dynamischer, man soll schließlich nicht einschlafen. Immerhin klingen Depeche Mode auch 2013 nicht altbacken oder unmodern, im Gegenteil, ihr Sound hat nach wie vor etwas Knackig-Frisches. Und auch wenn es nicht mehr für Begeisterungsstürme in Berliner Teenie-Discos reicht – „Delta Machine“ ist vielleicht ihr bestes Werk in diesem Jahrtausend. Vielleicht. Erst einmal abwarten, wie lange es zum Schönhören braucht.

„Delta Machine“ erscheint am Freitag bei Sony Music

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