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Dave Gahan von Depeche Mode.

© IMAGO/Gonzales Photo/Terje Dokken

Depeche Mode in Berlin: In diese Schuhe passt schon lange niemand mehr

Bekommt man nie genug von: So war das erste von drei natürlich standesgemäß ausverkauften Konzerten von Depeche Mode in der Mercedes-Benz-Arena.

Der Schlagzeuger von Depeche Mode betritt die Bühne und setzt sich hinter sein Drum-Set. Dieser Satz wäre früher ein zu Ende erzählter Witz gewesen. Depeche Mode sind schließlich diejenigen, die den Synthie-Pop popularisiert haben wie keine andere Band.

In den achtziger Jahren, als sie zu einer der größten Bands des Planeten aufstiegen, hatten sie keinen Drummer, auch live nicht. Für alles waren die Synthesizer zuständig. Da haute höchstens mal einer perkussiv auf Gegenstände aus Blech. Das hatte man von den Einstürzenden Neubauten aus Berlin übernommen, die von Depeche Mode bewundert wurden.

Nun aber drischt beim ersten von insgesamt drei Konzerten, die Depeche Mode dieser Tage in der Mercedes-Benz Arena in Berlin geben, ein Musiker fast pausenlos auf die Felle. Und spätestens gegen Ende des Auftritts, als Songs wie „Black Celebration“ oder „Stripped“ gespielt werden, denkt man sich in Richtung des schwitzenden Schlagwerkers: Mach’ doch bitte mal kurz eine Zigarettenpause. Permanentes Power-Drumming und die Erhabenheit solcher Songs wollen oft genug einfach nicht zueinander passen.

Zu echter Rockband entwickelt

Vielleicht ist es ja dem Erhalt des lieben Bandfriedens geschuldet, dass sich Depeche Mode über die Jahre hinweg zumindest live zu einer echten Rockband verwandelt haben. Sänger Dave Gahan mag es gerne etwas grober, sein Gegenpol Martin Gore ist der feinsinnige Elektroniker, auch wenn er inzwischen gelegentlich mal zur E-Gitarre greift.

Gahan hat die Band nun weitgehend nach seinen Wünschen geformt. Dafür weiß Gore still für sich, dass er als der große Songschreiber das eigentliche Genie der Band ist. So ungefähr sieht der Kompromiss wohl aus. Wegen Differenzen zwischen den beiden drohten Depeche Mode ja bereits oft genug auseinanderzufallen.

Geht Gore ins Berghain?

So aber lebt die Band fort, hat im letzten Jahr mit „Memento Mori“ ein gutes Album herausgebracht und sogar den Tod von Gründungsmitglied Andrew Fletcher überwunden. Fletcher wurde nachgesagt, er sei ein wichtiger Mediator für die beiden Hauptdarsteller in der Band gewesen.

Letzten Sommer traten Depeche Mode zwei Mal im Olympiastadion auf, und nun sind sie schon wieder in Berlin. Nicht drei Mal direkt hintereinander, sondern mit Pausen hinter den jeweiligen Auftritten. So bleibt das ganze Wochenende frei. Vielleicht besucht Martin Gore, ewig neugieriger Technofan, dann ja das Berghain.

Er und Gahan sind beide über 60 Jahre alt. Was man vor allem Gahan kein Stück ansieht. Das ist besonders erstaunlich, wenn man bedenkt, dass ihn der Konsum harter Drogen beinahe bereits ins Jenseits befördert hatte. Inzwischen scheint der Mann nur noch Salat zu sich zu nehmen und täglich ins Gym zu gehen. Sein Hüftschwung, auf den selbst Elvis neidisch gewesen wäre, kommt nicht mehr so zum Einsatz wie früher.

Pirouettendreher Gahan

Dafür dreht er immer noch Pirouetten und verrenkt pausenlos seinen Körper zu exaltierten Posen, als hätte er ihn unter Starkstrom gesetzt. Gleich zu Beginn des Konzerts geht er in die Hocke, als wolle er vor allem demonstrieren, dass das überhaupt noch möglich ist im fortgeschrittenen Alter. Um später diese Position immer wieder einzunehmen.

Vom aktuellen Album gibt es gleich zu Beginn „My cosmos is mine“, und schon bald ein Hit nach dem anderen. „Everything Counts“, „Try walking in my shoes“, „Enjoy the silence“, „Just can‘t get enough“, da bleiben kaum Wünsche offen.

Die Bühne der Arena, in die 17.000 Besucher passen und die standesgemäß ausverkauft ist, gehört ganz Gahan, dessen Baritonstimme eindrucksvoll klingt wie eh und je. Gore verschanzt sich die meiste Zeit hinter seinen Synthies und greift zwischendurch mal in die Saiten seiner Gitarre. Der wohl betörendste Moment des Konzerts aber gehört dann ganz ihm. Gahan geht Backstage und Gore intoniert in der Zeit zu den Klängen eines E-Pianos gleich zwei Nummern, „Strangelove“ und „Somebody“.

Im Original wird „Strangelove“ eigentlich von Gahan gesungen. Gore eignet sich nun das Stück komplett an. Seine Stimme klingt so glockenhell und unwirklich wie die der großen Popsängerin Anohni. Er inszeniert das Stück mit so viel Pathos und Drama, als wäre er der queerste Popstar der Welt. Und der Drummer raucht in der Zeit glücklicherweise vielleicht wirklich eine Zigarette.

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