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Kultur: Der alte Mann und das Gör

Die erste Premiere unter der Ägide von Ioan Holender: Donizettis „Don Pasquale“ an der Deutschen Oper Berlin

Es sind die einfachen Geschichten, die sich am schwersten erzählen. Die theatralischen Essenzen aus Jahrhunderten Menschenweisheit, deren äußere Handlung sich in ein, zwei Sätzen zusammenfassen lässt und die dennoch einen ganzen Abend füllen sollen. Donizettis „Don Pasquale“, diese Mär vom alten Mann, der von einem jungen Mädchen an der Nase herumgeführt wird, ist die allereinfachste dieser menschlichen Tragikomödien – und vielleicht auch die allerschwierigste.

Die großen Opernregisseure machen um das kleine Stück mit seiner schlichten Wahrheit fast ausnahmslos einen weiten Bogen und analysieren lieber die unbewussten Triebenergien tragisch sterbender Heroinen, statt sich der Lebenssehnsucht eines alten Mannes zuzuwenden. Selbst in der Stadt mit den drei Opernhäusern hat sich lange keiner an den „Pasquale“ herangetraut – obwohl das Stück als Gipfelwerk der italienischen Oper zum ehernen Kernrepertoire gehört, nicht schwer zu besetzen und mit wenig Aufwand auf die Bühne zu bringen ist , fehlte Donizettis dramma buffo bislang auf den Spielplänen. Dass sich mit der Deutschen Oper nun ausgerechnet das größte Haus des kleinsten Stücks angenommen hat, ist eine jener Absonderlichkeiten, die mit Inkrafttreten der Berliner Opernstiftung hoffentlich der Vergangenheit angehören werden. Ex-Intendant Udo Zimmermann hatte den „Pasquale“ auf die Premierenliste gesetzt, ohne jedoch einen Regisseur zu benennen. Der im November letzen Jahres, nach Ankündigung von Zimmermanns Entlassung, als „Berater“ hinzugezogene Wiener Opernchef Ioan Holender verpflichtete kurzfristig den als Routinier bekannten Jean-Louis Martinoty. Die Zeit war da wohl ohnehin zu knapp, sich über einen Willen zum Stück Gedanken zu machen – angesichts von Holenders erklärter Strategie, das Haus wieder durch Belcanto-Oper und große Sängernamen zu füllen, waren Regie-Experimente wohl ohnehin unerwünscht.

Kunst, tiefsinniges und zu Herzen gehendes Musiktheater, entsteht unter solchen Bedingungen nur selten. Wohl aber eine gediegene Theaterroutine, die in konservativen Opernmetropolen wie Wien, Rom oder New York problemlos akzeptiert worden wäre und die auch dem überwiegenden Teil des Publikums an der Deutschen Oper gefällt.

Denn Martinoty und sein Ausstattungsteam Bernard Arnould (Bühne) sowie Daniel Ogier (Kostüme) drehen die Zeiger der Weltopernuhr einfach dreißig Jahre zurück: In eine Zeit, in der Otto Schenk und August Everding die Speerspitzen des Musiktheaters waren, in der das Chargieren noch als legitime Pose jedes Sängers galt und in der die Opernhäuser noch voll waren.

Geboten wird dabei, wie es sich für festliche Opernunterhaltung gehört, eine ganze Menge: Bunte Bühnenbilder, schräge Typen aus der Charakterkopf-Kartei als Statisten, niedliche Kinder, Akrobaten und schon in der Ouvertüre ulkige, sorgfältig choreografierte Einfälle für die Solisten. Der alte Herr ist diesmal ein kauziger Madonnensammler und Büchernarr, seine Als-Ob-Angetraute mutiert, wie später in Richard Strauss’ Variation des Themas, der „Schweigsamen Frau“, zum Star einer Wandertheatertruppe. Hin und wieder mahnen riesige Totenköpfe Pasquale an die Endlichkeit des Erdendaseins, doch im Großen und Ganzen wird ungefähr das geboten, was der Opernführer unter dem Stichwort „Don Pasquale“ vorschreibt. Bruno Pola darf als idiomatisch grummelnder, wenn auch nicht ganz formatfüllender Pasquale bei jeder Turbulenz der Musik effektvoll den Herzkasper markieren, die hübsche Ofelia Sala trumpft mit Norinas süßer Biestigkeit und tadellos forschem Sopran auf, Kenneth Tarver hat für die todtraurige Arie des verliebten Ernesto, das wunderschöne „Chercheró lontana terra“ genau den richtigen melancholisch angehauchten Tenorschmelz und Markus Brück komplettiert mit leichtem, agilen Bariton das Quartett als gewitzter Doktor Malatesta. Der junge Franzose Yves Abel dirigiert das ausgezeichnet disponierte Orchester der Deutschen Oper mit komödiantischer Verve und viel Gespür für die feineren Zwischentöne, kein Zuschauer wird durch Ungebührliches in Frage stellen oder Gegen-den-Strich-Bürsten verschreckt – und wäre das Ganze tatsächlich die Wiedereinstudierung einer 30 Jahre alten Inszenierung aus dem Fundus, könnte jedermann glücklich nach Hause gehen.

Doch so einfach ist die Sache eben doch nicht. Denn jede Premiere, die nichts anderes tut als altbekannte Klischees zu reproduzieren, ist eben doch eine vertane Chance. Weil eine Neuproduktion an einem Haus wie der Deutschen Oper zwangsläufig am Anspruch zeitgenössischen Musiktheaters gemessen werden muss und vorhersehbar gegen wagemutige Inszenierungen ausgespielt werden wird. Weil Stücke wie „Pasquale“ denn doch unendlich viel mehr sind als Komödienstadl mit gefälliger Musik. Weil das, worüber man lacht, hier eben auch zum Weinen ist und weil der Wunsch dieses komischen Alten nach Jugend und Liebe nicht lächerlich, sondern allzu verständlich ist. Und weil die Erkenntnis des „Zu spät“ zwar mit der zartschmelzenden Kuvertüre von Donizettis Melodien überzogen, aber im Grunde eine bittere Wahrheit ist.

Denn dass der „Pasquale“ in seiner Schlichtheit zugleich ein einsames Stück ist, eines, das immer und überall spielen könnte, weil es nur auf die Menschen und nicht auf das Dekor ankommt – dieser Erkenntnis verweigert sich die Inszenierung mit ihrem geradezu panischen horror vacui. Weil sie sich weigert, das Einfache ernst zu nehmen. Dabei beginnt hier erst die Kunst.

Nächste Vorstellungen: 15. und 18. Oktober

Jörg Königsdorf

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