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Kultur: Der Anfang vom Anfang

Der Bund rettet die Berliner Opern – und die Stadt wird zum Modell für Kulturpolitik in Zeiten des Sparzwangs

und Christiane Peitz

Was bisher geschah. Es ist fast auf den Tag genau zehn Jahre her: Damals, am 22. Juni 1993, hatte der Berliner Senat im Morgengrauen nach durchwachter Nacht in einem Moment von verzweifeltem Aktionismus die Liquidation der Staatlichen Schauspielbühnen (des Schiller-Theaters) beschlossen. Mittags rief Kultursenator Ulrich Roloff-Momin eiligst ein paar Journalisten in sein Amtszimmer im Europacenter und mochte selbst noch nicht so recht daran glauben. Es folgten Monate der Debatten und Proteste – und noch Jahre danach schlug die dilettantische Schließungsaktion mit hohen Nachfolgekosten zu Buche. Der Fall Schiller-Theater fand weltweit Beachtung. Und war wohl eine heilsame Lehre: Denn es kostet viel, eine große Bühne dichtzumachen, jedenfalls im Hauruck-Verfahren.

Was Christina Weiss weiß . Opernschließung in Berlin? Diesmal sind es ein paar Journalisten mehr, an prominenterem Ort. 40 Stühle sind bereitgestellt, um 13 Uhr im Max-Liebermann-Haus am Brandenburger Tor. Sie reichen bei weitem nicht. Tausend Augen sind auf die Kulturstaatsministerin gerichtet, die mit strahlend rotgoldenem Seidenschal hinter dem Mikrofonwald Platz nimmt. Ja, sie selbst strahlt auch; dies wird gleich der fulminanteste Auftritt ihrer bisherigen Amtszeit. Denn Weiss wird, anders als Roloff-Momin vor zehn Jahren, eine frohe Botschaft verkünden. Und sie inszeniert ihren Auftritt genüsslich, spannt die Wartenden auf die Folter und beschwört zunächst Liebermanns klare und unmissverständliche Sprache. Dieser Sprache fühle sie sich nun verpflichtet. Ouvertüre furioso mit Fanfare: lauter knappe, eindeutige Sätze.

Erstens. „Berlin kann seine drei Opernhäuser erhalten. Der Bund hat sich durchgerungen, Geld bereitzustellen, um schweren Schaden von Berlins Kultur abzuwenden.“

Zweitens. Der Bund übernimmt die Akademie der Künste, ebenso das Filmhaus mit dem Kinematheken-Verbund und die Betriebskosten des Hamburger Bahnhofs.

Drittens. Das sind 22 Millionen Euro Finanzspritze. Hinzu kommen, einmalig für 2004, drei Millionen als Anschubfinanzierung für die von allen gewünschte Opernstiftung.

Viertens. „Die 22 Millionen sind dauerhaft.“ Berlins Wunschsumme von 33 Millionen Euro entspricht das zwar nicht, aber die Differenz ist zumutbar.

Nächster Akt, Phase der Entspannung. Schauen Sie bitte mal aus dem Fenster. Da drüben, auf der anderen Seite des Pariser Platzes steht das neue Gebäude der Akademie. Allein, Berlin ist pleite, für den „Ort des Geistes“ fehlen Telefone, Mobiliar, Betriebsmittel. Nun schließt der Bund die Türen auf. Aber: „Wir wollen keine Staatsakademie, wir unterstützen einen freien Ort des freien Denkens.“

Wer dagegen war. Weiss läuft zur Hochform auf, wird im gebotenen Maß undiplomatisch, spricht Klartext über das Desinteresse und die „unglaublichen Widerstände“ – aus Berlin. Außer Kultursenator Thomas Flierl hätte sich kaum ein Landespolitiker um den Erhalt der Opern gesorgt. Namen nennt sie nicht. Die Breitseite gegen Finanzsenator Thilo Sarrazin sitzt trotzdem.

Was der Kanzler sagt . „Sie können sich bei den Fürsprechern des Bundes bedanken“, meint Weiss. Beim „Kanzler, bei Wolfgang Thierse, Frank Walter Steinmeier“, dem Kanzleramts-Chef. Und Antje Vollmer gratuliert zum „Schlüsselprojekt für die Strukturreform der Kulturlandschaft“. Hat Schröder also ein Machtwort gesprochen? Weiss zögert – und sagt sibyllinisch: „Das muss er doch immer.“ Damals, bei der Bundeshilfe für Barenboims Staatskapelle, gab es weniger Diskretion. Bleibt das Scherzo-Finale. Wie hat sie Finanzminister Eichel rumgekriegt, ihren Etat um 22 Millionen aufzustocken? Antwort: „Ihrer Fantasie sind keine Grenzen gesetzt“. Gelächter, Triumph, Abgang.

Was der Kultursenator sagt. Tja, nun hat ihm Kollegin Weiss die Show gestohlen. Thomas Flierl, zwei Stunden später im Roten Rathaus, meldet dennoch freudig Vollzug. Ja, die Fusion von Staatsoper und Deutscher Oper oder gar eine Schließung ist vom Tisch. Sie hätte „katastrophale Signalwirkung für Deutschland“ gehabt. Ja, die Stiftung wird gegründet, pünktlich zum 1. Januar. Ja, die Differenz zwischen Wunschsumme und Realentlastung kann ausgeglichen werden. Ja, auch er freut sich über die „außerordentliche Unterstützung“ des Bundes.

Der Rest ist Kameralistik. Die reale Entlastung des Landesetats beträgt wegen der nicht eingeplanten Betriebskosten etwa für die Akademie nur knapp 18 Millionen Euro. Das Geld reicht trotzdem, denn das Opernsparziel galt erst für 2009: Dann müssen die beiden großen Häuser mit 50 Millionen (jetzt: 83 Millionen) von Seiten Berlins auskommen. Aber sie können bereits ab 2004 jährlich mit den zusätzlichen 18 Millionen vom Bund rechnen. Das schafft Spielraum. Detailfragen? Flierl pariert locker. Und benennt freimütig die offenen Baustellen, das Ballett, die Werkstätten, die Kürzung bei den Symphonikern. Landespolitische Prosa: Die Mühen der Ebenen sind nicht bewältigt.

Und was sagen die Opern? An den Häusern herrscht Erleichterung, wegen der Planungs- und Bestandssicherheit. Darüber, wie im Rahmen der Stiftung Personal abgebaut und gespart werden soll, will sich im Moment keines der drei Häuser äußern. An der Deutschen Oper, deren Freundeskreis soeben ein Papier veröffentlichte, das ein Einsparpotenzial von acht Millionen skizziert, hält man sich bedeckt. „Eine schwierige, aber lösbare Aufgabe“ nennt der kaufmännische Leiter und künftige kommissarische Intendant Peter Sauerbaum den Beschluss. „Der Bund hat das Zeichen gegeben, dass er sich engagiert. Jetzt ist es an uns, in die Detailberechnungen zu gehen.“ Für den drastischen Personalabbau im Rahmen der Stiftung sei das Land zuständig: „Da der Senat sich gerade zum Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen bis 2009 verpflichtet hat, muss er uns sagen, woher wir das Geld für Abfindungen nehmen sollen“, erklärt Sauerbaum dem Tagesspiegel. Und Noch-Intendant Udo Zimmermann spekuliert: „Die Deutsche Oper wird stärker auf Fremdvermietungen und Kooperationen auch innerhalb der Stadt angewiesen sein.“

„Man hat den Atem angehalten“, erklärt auch Georg Vierthaler, Geschäftsführer der Staatsoper – Intendant Peter Mussbach weilt mit Gastspielen im Ausland. „Jetzt haben wir eine Basis, auf der man vernünftig und realistisch weiterdiskutieren kann. Denn das Problem, wie die drei Häuser international konkurrenzfähig bleiben, ist noch nicht gelöst.“ Auf den Opern lastet weiterhin Kostendruck. Und unter dem Dach der Stiftung möchte die Lindenoper laut Vierthaler „nicht der Steinbruch für die Finanzprobleme der anderen Häuser sein“. Was die dringende Sanierung des 350 Jahre alten Gebäudes betrifft, nimmt man Flierl gerne beim Wort, der vom nächsten „großen Meilenstein“ spricht. Wer soll die nötigen 100 Millionen Euro bezahlen? „Die Bundesregierung, die EU, aber auch private Finanzpartner könnten in ein Konzept eingebunden werden,“ erklärt Vierthaler.

Fazit. Schröder will Berlins Kultur retten. Hilft ihm dabei bald Europa?

Jörg Königsdorf

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