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Kultur: Der bekannte DDR-Historiker hat seine Autobiografie geschrieben - und eine Chance vergeben

Die DDR litt ständig unter Legitimationszwang. Die SED übte die Macht nicht nach dem Gewinn freier Wahlen aus, sondern wurde von der sowjetischen Besatzungsmacht zur Statthalterin erklärt.

Die DDR litt ständig unter Legitimationszwang. Die SED übte die Macht nicht nach dem Gewinn freier Wahlen aus, sondern wurde von der sowjetischen Besatzungsmacht zur Statthalterin erklärt. Die Partei selbst begründete ihren Machtanspruch allein aus der "antifaschistischen" Geschichte.

Da dies der SED-Führung bewusst war, begann sie Ende der vierziger Jahre, eine marxistisch-leninistische Geschichtswissenschaft zu etablieren. Ziel der "neuen" Geschichtswissenschaft war es, die SED-Politik historisch zu legitimieren und zu zeigen, dass die gesellschaftliche Entwicklung den historischen Gesetzen und den Prognosen "der Klassiker" entspricht.

Dass die DDR-Geschichtswissenschaft mit ihren Mitteln das Regime stützte, steht außer Frage. Mittlerweile gibt es zwar auch eine Reihe von Stellungnahmen, Autobiografien und Analysen einstiger SED-Historiker, die aber gerieten zumeist zur reinen Apologie. Im Gegensatz zu den meisten seiner Kollegen hatte sich Fritz Klein bereits 1989 kritisch zur DDR-Geschichtswissenschaft geäußert. Nun hat er seine Autobiografie vorgelegt.

Geboren 1924 in Berlin als Sohn des Chefredakteurs der rechten "Deutschen Allgemeinen Zeitung" wuchs Klein in wohl behüteten Verhältnissen auf. Nach dem frühen Tod seiner Eltern nahm ihn der sozialdemokratische Pädagoge Heinrich Deiters auf. Dieses Milieu war Klein bis dahin unbekannt gewesen. Umso stärker prägte es ihn nun. Seit 1942 als Soldat an der Ostfront stand er der Hitler-Diktatur kritisch gegenüber. Obwohl er die Möglichkeit besaß zu desertieren, tat er es nicht und blieb bis zum Schluss in der Wehrmacht. Im April 1945 geriet er in amerikanische Kriegsgefangenschaft.

Noch im selben Jahr trat Klein der KPD bei. 1946 nahm er ein Studium an der Berliner Universität auf. In den folgenden Jahren machte er Karriere, wurde Chefredakteur der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft und brachte es bis zur Habilitation. Das Jahr 1957 bedeutete allerdings einen Einschnitt. Klein wurde wegen "revisionistischer Tendenzen" abgesetzt und wechselte in die Akademie der Wissenschaften. Später wurde der Professor mit zahlreichen Positionen in Wissenschaftsgremien des In- und Auslands betraut, und Klein engagierte sich in offiziellen Organisationen der DDR wie dem Kulturbund oder dem Friedensrat. 1990/91 amtierte der Historiker als Direktor des Instituts für Allgemeine Geschichte. Ein Jahr darauf war Klein Mitglied einer Kommission, die das Institut für Geschichte an der Berliner Humboldt-Universität neu aufbaute.

Wissenschaftlich machte Klein sich vor allem einen Namen als Leiter eines Projekts zur Geschichte des I. Weltkrieges. Die Bedeutung Kleins innerhalb der DDR-Geschichtswissenschaft speiste sich aber aus einer anderen Quelle: Er war alles andere als ein Dogmatiker. Dies ist vor allem im westlichen Ausland geschätzt worden. Unter den gesellschaftswissenschaftlichen Reisekadern gehörte er zu den seltenen Ausnahmen, die sich eloquent, undogmatisch, weltmännisch und auch noch vielsprachig zu bewegen und artikulieren wussten. Dies brachte ihm bei seinen zahlreichen Auslandsaufenthalten Respekt und Anerkennung ein. Er war im Westen ein gefragter Gesprächs- und Diskussionspartner.

Allerdings hatte diese Seite des "liberalen Kommunisten", der er fraglos war, auch eine Gegenseite. Als IM "Wilhelm" berichtete er regelmäßig über seine westlichen Kontakte und über Institutsangelegenheiten. Dieses Kapitel seiner Biografie verschweigt er nicht, verharmlost es aber. Denn seine überlieferten IM-Berichte, für die er immerhin zwei MfS-Auszeichnungen erhielt, sind keineswegs harmlose Reiseberichte. Auch erfährt der Leser kaum etwas über die Entscheidungsstrukturen in der Geschichtswissenschaft, die SED kommt allenfalls am Rande vor. Interne Diskussion scheint es nicht gegeben zu haben.

Überhaupt hört Klein zumeist dann auf mit seinem Bericht, wenn es spannend werden könnte. Nach der Lektüre seiner Autobiografie fragt man sich verwundert, worin eigentlich das Verwerfliche des SED-Regimes und das Besondere der DDR-Geschichtswissenschaft gelegen hat. Im Ton großbürgerlicher Toleranz zeichnet Klein Bilder, die er persönlich als aufrichtig und ehrlich ansehen mag, die aber tatsächlich den Dingen nicht auf den Grund gehen, das System verharmlosen und das eigene Denken und Agieren zwar als fehlerhaft, aber im Ganzen doch akzeptabel und respektabel akzentuieren.

Die selbstkritischen Ansätze mögen Kleins Historikerfreunde in aller Welt überzeugen. Tatsächlich aber hat Fritz Klein die Chance vergeben, aufrichtig und ehrlich auch über die unangenehmen Seiten seines Lebens und die der DDR-Geschichtswissenschaft zu berichten. Statt den Leser auf immer wieder neue Reisen mitzunehmen und zu erklären, was er wo überall auf der Welt von sich gegeben hat, hätte er das Innenleben einer privilegierten Kaste, zu der nicht nur Westreisen, sondern auch Westautos, Westhäuser und vieles mehr gehörten, in der DDR darstellen sollen. Denn ihm, der auch von seinen Kritikern geachtet und geschätzt wird, hätte man mehr geglaubt als seinen einstigen dogmatischen Widersachern.Fritz Klein: Drinnen und Draußen. Ein Historiker in der DDR. Erinnerungen. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2000. 376 S. 39,80 DM.

Am 7. April unterhält sich Fritz Klein mit Egon Bahr und Wolfgang Mommsen über seine Erinnerungen. Beginn der Diskussion ist um 20 Uhr in "Schleichers Buchhandlung" (U-Bahnhof Dahlem Dorf), Königin-Luise-Straße 40.

Ilko-Sascha Kowalczuk

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