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Kultur: Der Bildermacher

Philipp Stölzl hat Videos für Madonna und Joachim Witt gedreht. Jetzt kommt sein erster Spielfilm „Baby“ ins Kino

Geschichten erzählen in drei Minuten: Das ist die große Kunst des Musikvideos. Die Kunst, nicht nur einen Hampelmann mit Gitarre und Mikrofon abzufilmen, sondern eine Botschaft zu vermitteln. Zwar gibt die Musik den Rythmus des Schnitts vor, das Image des Musikers, den Stil, doch wirkliche Könner finden einen Weg, um eine eigene Welt zu schaffen. Der 1967 in München geborene Philipp Stölzl ist Spezialist in dieser Kunst. Er ist einer der erfolgreichsten Deutschen im internationalen Popgeschäft. Nur: Sein Name ist Wenigen bekannt. Er ist der Mann im Hintergrund, der die Hochglanzfassaden der Stars zum Funkeln bringt. Der Ritterschlag für ihn erfolgte, als ihn Madonna höchstpersönlich als Regisseur für das „American Pie“-Video auserkor. Man sieht Madonna vor einer monströsen amerikanischen Flagge tanzen, in sexy Hüfthosen, dazwischen geschnitten sind Bilder von armen Menschen aus dem Süden. Das Video ist auf subtile Art das kritische Porträt eines Landes, das behauptet, jeder könne es schaffen. In drei Minuten eine Geschichte erzählen – Philipp Stölzl hat gezeigt, dass er diese Kurzform beherrscht.

Dann wollte er einen Spielfilm drehen. Vielleicht waren sich die Produzenten am Anfang nicht so sicher, ob das gut geht: Sieht sicher gut aus, schöne Oberflächen, poppig und stylish. Aber reicht das? Vor drei Wochen startete Stölzls erster Kinofilm „Baby“ in Deutschland, ein wunderbar ruhiger Film, ohne Clip-Hektik, ohne wüste Schnitte, langsam und lakonisch, im opulenten und schwierigen Cinemascope-Format gedreht: Die 15-jährige Lilli hat zwei Väter, einen richtigen, Frank, und dessen besten Kumpel Paul. Sie bewohnen zu dritt eine Art WG, nachdem beider Frauen – auch Lillis Mutter – bei einem Unfall ums Leben kamen. Es ist zwar chaotisch zu Hause, ein bisschen armselig, aber eben auch lieb und nett. Bis den beiden Alleinerziehenden, die in einem billigen Striplokal als Kellner und Türsteher arbeiten, gekündigt wird. Geld muss her, sie gehen auf einen ziemlich dämlichen Raubzug – und erschießen einen Wächter.

Aber was noch schlimmer ist: Lilli schläft mit Paul und wird schwanger. Die Dreiergemeinschaft zerbricht. Lilli und Paul fliehen ans Ende der Welt, auf einen verlassenen Campingplatz in Holland, während der Vater, selbst auf der Flucht, dem Paar hinterherjagd. Ein Roadmovie. Eine Tragikomödie.

„Als Videoregisseur“, erzählt Stölzl, „steht man ja meistens unter dem Verdacht, visuell stark zu sein, aber nichts mit Schauspielern anfangen zu können.“ So hat Stölzl mit seinem Spielfilmdebüt alle Erwartungen bewusst unterlaufen, die an einen MTV-Regisseur gestellt werden. Und richtig schwer gefallen ist ihm das nicht. Früher war er am Theater tätig. Er hat eine Bühnenbild-Ausbildung bei Dieter Dorn an den Münchner Kammerspielen hinter sich und hat mit dem Regisseur Armin Petras zusammengearbeitet. Zwei Musicals hat er auch geschrieben. „Schauspieler sind mir von meinen Theaterzeiten wohl vertraut und ich habe ihnen, glaube ich, auch etwas zu sagen“, bekräftigt Stölzl im Gespräch.

Theater, das gefiel ihm damals, doch irgendwann war es zu wenig. Er bewarb sich als Art Director für die Wiener Produktionsfirma DoRo. Der Musiksender Viva war kurz zuvor auf Sendung gegangen. Es herrschte Goldgräber-Stimmung und Musikvideos waren etwas Neues. Sie sprachen eine Pop-Sprache, die vage Song-Botschaften in unvergessliche Miniopern verwandeln konnte. Später gründete Stölzl eine DoRo- Dependance in Kreuzberg – und kam nach Berlin.

Immer wieder wird Philipp Stölzl auf seinen Vater Christoph Stölzl, den ehemaligen Kultursenator und Berliner CDU-Vorsitzenden, angesprochen. Er sagt dann: Ja, er habe ein gutes Verhältnis zu ihm. Ja, sein Vater interessiere sich für seine Arbeit. Nein, Erfolgsdruck verspüre er nicht, weil sie ja in vollkommen unterschiedlichen Metiers tätig seien. Er selbst hält sich nicht für einen politischen Menschen. Aber das sei ein schwammiger Begriff. Musikvideos müsse man immer in dem kommerziellen Zusammenhang sehen, in dem sie entstehen. Man könne zwar versuchen, das Medium mit Inhalt zu füllen, stoße aber zwangsläufig auf Grenzen. Gewiss, das habe sicher auch eine politische Seite. Doch man muss erkennen, was man kann und wozu man was zu sagen hat, sagt er.

Philipp Stölzl ist gerade in Los Angeles, das Gespräch findet am Telefon statt. In Californien ist es gerade neun Uhr vormittags an einem Sonnabend. Immer wieder hört man die Triebwerke von Flugzeugen im Hintergrund, die über seine Wohnung in Venice rauschen. Er ist dort, um an einem US-Spielfilmprojekt zu arbeiten, das sich gerade in der Finanzierungsphase befindet. Gerne spricht Stölzl nicht darüber. Vieles ist noch völlig unklar, er mag nicht laut tönen, ohne dass alles geregelt ist. „Bevor man nicht am Set steht, weiß man eigentlich nie, ob der Film auch wirklich stattfindet.“

Er würde gerne einen englischsprachigen Genrefilm machen. Wahrscheinlich eher etwas Düsteres, meint er. Das sei nun mal seine Rolle wegen der Videos: oft finstere Geschichten. In Joachim Witts „Flut“-Video, für das er ebenfalls verantwortlich ist, kämpft ein Lumpenproletariat gegen weiß gekleidete Matrosen, die niemanden mehr auf ihre Arche lassen wollen. Im Garbage-Video zu „The World Is Not Enough“ wird Sängerin Shirley Manson zu einem Kampfroboter in der finalen Schlacht um Planet Erde. Oft sind Stölzls Videos martialisch, archetypisch, in erdigen Farben. Er sagt, er möge Gothic-Geschichten, Comicstrips. „The Others“ oder „Sleepy Hollow“ seien großartige Filme, bekennt er. Eben Kino, das stilisiert ist und nicht so sehr die Realität abbildet. „Die Drehbücher, die ich bekomme, sind sowieso immer Horrorsachen, Thriller oder Übernatürliches.“ Und er sagt: Eine romantische Komödie könne er in 20 Jahren immer noch machen.

Seit der Fertigstelllung von „Baby“ vor zwei Jahren hat er hauptsächlich Werbespots gedreht und Musikvideos für Pavarotti zum Beispiel oder für Rosenstolz. Ob er glaube, dass der Markt für Musikvideos verloren gehe? Schließlich bieten MTV und Viva mittlerweile fast mehr Lifestyle-Talk und Partnervermittlung als Musik. „Die Zielgruppe will wohl solche Shows und Jackass-Sendungen. Daneben dominieren ein paar ausgewählte Videos, die immer öfter gespielt werden. Die Top 20 rauf und runter. Für Nischensachen ist da kaum noch Platz.“

Doch das Hauptproblem ist Geld. Die Musikindustrie ist im freien Fall, die Budgets für Videodproduktionen haben sich halbiert. „Der veränderte Musikkonsum mit I-Pods, Downloads und Brennern hat extreme Auswirkungen am anderen Ende der Nahrungskette.“ Nicht nur künstlerisch will Stölzl über die Nischenkunst hinauswachsen, er baut auch vor. Vielleicht gibt es nämlich in ein paar Jahren Videos als Werbeträger gar nicht mehr, man macht sie dann nur noch zum Spaß. „Aber wenn man sagt, man wolle ein bisschen was hinstellen im Leben, dann ist das ein Langfilm.“

Neulich bekam er ein Angebot, das ihn sehr gefreut hat. Vielleicht wird er im nächsten Jahr eine Oper inszenieren.

„Baby“: Neue Kant Kinos (Kantstr. 45)

Karl Hafner

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