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Gelassener Aufklärer. Wolf Lepenies am Rande der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels in der Paulskirche in Frankfurt am Main.

© picture alliance / dpa / Arne Dedert

Friedenspreisverleihung: Der Blick von oben

Der Berliner Soziologe Wolf Lepenies erhält in der Frankfurter Paulskirche den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.

Von Gregor Dotzauer

Die Kunst der öffentlichen Rede ruft mit schrecklicher Zuverlässigkeit feste Typen ans Pult. Sie bringt den Sonntagsredner hervor, der sein Thema an die Gratiszustimmung des Publikums verrät – egal, ob er lautstark einen moralischen Ruck fordert oder vor lauter Diplomatie die praktischen Konsequenzen seines Denkens unterschlägt. Sie produziert den Charmeur, den Apokalyptiker, den Besänftiger und den Demagogen – aber so gut wie nie den ruhigen Analytiker.

Zerrissen zwischen dem Anspruch, zu sagen, was man immer schon einmal sagen wollte, aber nie zu sagen wagte, und der Erwartung, noch einmal zu sagen, was man immer schon gesagt hat, nur eben in einer anderen Sprache, für eine breite Öffentlichkeit, bewegen sich die Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels mehr als jeder Politiker auf einem schwierigen Terrain.

Der Ort, die Frankfurter Paulskirche, erfordert einerseits Formen und Rücksichten; die Gunst der einen festlichen Stunde verlangt andererseits nach Klarheit und Entschlossenheit. Martin Walser entschied sich mit seinen Bemerkungen zur „Moralkeule Auschwitz“ für die Provokation. Susan Sontag schreckte vor der Radikalität des eigenen Denkens zurück. Péter Esterházy versteckte sich hinter Ironiestaubwolken. Wolf Lepenies aber, der diesjährige Friedenspreisträger, manövrierte am Sonntagvormittag unbeirrt an allen Versuchungen vorbei – vielleicht auch, weil er, der feinnervige Essayist, Soziologe und fünfzehn Jahre lang Rektor des Berliner Wissenschaftskollegs, gar nicht anders hätte sagen können, was ihm am Herzen liegt – nicht einmal vor dem wohl größten Publikum seines Lebens.

„Es gibt Elfenbeintürme, von denen aus man weit sieht“, bekannte er: „Wissenschaftliche Strenge ist die Voraussetzung, damit Weitsicht-Projekte auch im Raum des Politischen nicht ohne Folgen bleiben.“ So stellte er die Ideen seiner wissenschaftspolitischen Initiativen vor, ohne zu verschweigen, dass diese Ideen buchstäblich Platz brauchen, Geld kosten und, sobald sie umgesetzt sind, unweigerlich mit der Wirklichkeit in Konflikt geraten.

Dabei hätte man seine Äußerungen ohne weiteres als kulturkritische Brandrede mit zwei zentralen Thesen lesen können, die in der Verkürzung wie Binsenweisheiten wirken: Wir verkennen unsere europäischen Wurzeln, wenn wir uns in Islamophobie ergehen. Und: Wir zerstören die Grundlagen unserer europäischen Identität, wenn wir die Geistes- und Kulturwissenschaften aus den Universitäten verdrängen.

Die gelassene Gelehrsamkeit, mit der Lepenies diese beiden Gedanken entwickelte, war wirkungsvoller als jeder schale Appell. Der rumänische Philosoph und Ex-Minister Andrei Pleeu charakterisierte dieses Selbstverständnis in seiner Laudatio treffend: „Den Frieden, den Lepenies möglich macht, ist nicht der Frieden eines engelhaften Redners, sondern der Frieden eines gut informierten und pragmatischen Experten.“ In der Dialektik von Krieg und Frieden erkannte Pleeu das taktische und strategische Ingenium eines „scharfsinnigen Kämpfers“, der „Haltung und Gestik eines durchschnittlichen Pazifisten“ nicht einnehmen könne. Lepenies sei perfekt ausgerüstet für einen Vermittler, der verstanden habe, „dass der europäische Integrationsprozess eine ,pazifistische’, administrative und konstruktive Version des ,kalten Krieges’ ist, der damit eine höhere, edlere, Ebene erreicht hat. Und dass nur derjenige sich angemessen in der Dynamik dieses Prozesses verhalten kann, der ein subtiles Verständnis für die Mentalitätskonflikte, für die schwer vereinbaren Unterschiede und für die Front-Situationen aufbringt.“

Niemand, so Andrei Plesu, wisse besser als Lepenies, dass „nicht der trübe Dynamismus zentrifugaler Interessen, sondern die statische, ausstrahlende Konvergenz einer gemeinsamen Reflexion und eines gemeinsamen guten Willens“ für eine glückende Kommunikation vonnöten sei: „Pax hominibus bonae voluntatis. Das ist der „große Frieden“, über den sowohl die Evangelien, die islamischen Texte und jene des Judaismus sprechen.“

Dieser allen Menschen guten Willens offen stehende Friede charakterisiert ein Programm. Lepenies träumt von „zivilgesellschaftlichen Eliten“ auf exterritorialem Gebiet, die ihren Herkunftsländern den Weg in die Moderne ebnen. Das ist kein Allheilmittel für ein friedliches Miteinander von Orient und Okzident. Ja im brain drain, der Abwanderung von Intelligenz ins Ausland, stecken auch Gefahren. Doch solange es für viele noch darum geht, sich des eigenen Verstandes nicht nur ohne Anleitung, sondern vor allem ohne Behinderung eines anderen zu bedienen, gibt es dazu wenig Alternativen – ganz im Sinne des mehrfach zitierten Kant und dessen Idee von Aufklärung. Wolf Lepenies hat in seiner Rede für sie meisterlich geworben.

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