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Kultur: Der Boss basht Bush

Bruce Springsteen stellt sich mit anderen Rockstars an die Spitze der Kerry-Kampagne – und geht auf Tour in den Wackelstaaten

Die Message des Coverfotos wirkt aus heutiger Sicht ebenso cool wie schwul: ein männlicher Rückentorso mit weißem T-Shirt und nackten Armen, der Hintern in einer engen Jeans, in der rechten Gesäßtasche steckt ein rotes Baseballkäppi. Bruce Springsteens Album „Born in the U.S.A.“ war 1984 ein Megaseller – und ein Wendepunkt in der Karriere des Rockmusikers aus New Jersey, den sie den „Boss“ nennen. Bruce Springsteen schwenkte damals zum musikalischen Mainstream, und der Republikaner Ronald Reagan versuchte den Titelsong für seinen Wahlkampf zu benutzen. Springsteen widersprach.

Auch George W. Bush wollte sich jetzt, zwanzig Jahre und ein paar amerikanische Kriege später, noch einmal mit dem rockigen Einpeitscher Springsteen munitionieren. Doch der Boss steht auf der anderen Seite. Bushs Herausforderer John Kerry ließ bei seiner offiziellen Nominierung auf dem demokratischen Konvent in Boston einen Springsteen-Song einspielen, „No Surrender“. Keine Kapitulation: Die Nummer, gleichfalls vom „Born in the U.S.A“-Album, tönt in der für Springsteens Texte typischen macho-markigen, zugleich ungefähren und interpretationsfähigen Manier mit soldatischen Floskeln. Blutsbrüder in stürmischer Nacht, die Verteidigung schwören/Kein Rückzug, keine Kapitulation.

Springsteen liefert für das Kerry-Edwards-Ticket nicht nur die Hintergrundmusik. Der 54-jährige Superstar hat sich jetzt an die Spitze der Musiker gestellt, die eine zweite Amtszeit von Bush verhindern wollen. Aus Springsteen wird Swingsteen: Am 1. Oktober eröffnet er mit seiner E-Street-Band in Philadelphia eine Serie von Konzerten für Kerry. Die Tour zielt auf die so genannten swing states: jene amerikanischen Bundesstaaten, in denen der Wahlausgang offen ist und die Wahl entschieden wird. Nach dem Pennsylvania-Gig geht es nach Cleveland/Ohio, Ann Arbor/Michigan, St. Paul/Minnesota und Orlando/Florida. Es ist eine breite Bewegung, die unter dem Motto „Vote for Change“ mit Dutzenden von Konzerten in die heiße Phase des Wahlkampfs eingreift. Pearl Jam, R.E.M., Jackson Browne, die Dave Matthews Band, John Mellencamp, die Dixie Chicks und John Fogerty (der Leadsänger der legendären Creedence Clearwater Revival) gehen im Oktober auf die Kerry-Tour. Sie wollen, wie es in einer gemeinsamen Erklärung heißt, „für die wichtigste Wahl ihres Lebens die Alarmglocken läuten und jene fünfzig Prozent der Bevölkerung motivieren, die traditionell nicht wählen“. Die Konzerterlöse gehen an „America Coming Together“, eine von Demokraten geführte Organisation.

Zurück zu den uramerkanischen Werten. Der Kampf ums Weiße Haus wird von Bush wie auch von Kerry als Retro-Spektakel geführt. Wer von beiden ist amerikanischer, das scheint die entscheidende Frage zu sein. Da bietet sich Springsteen für die plötzlich wehrhaften Demokraten – Kerry wird nicht müde, seine Vietnam-Orden vorzuzeigen – als idealer Frontmann an. Auf den breiten Schulten des Multimillionärs, der immer noch von seinem Malocher-Image zehrt, haben viele Träume, Illusionen und Botschaften Platz. Mochten die Songs von „Born in the U.S.A.“ auch von den armen Schluckern in öden amerikanischen Kleinstädten, von Post-Vietnam-Traumata und zerstörten Jugendhoffnungen künden – Ronald Reagan hat das seinerzeit wenig ausgemacht. Die All-American-Message war stärker als die Details.

Als Springsteen im Sommer 2002 sein Album „The Rising“ herausbrachte, erlebte man wieder dies Paradox. „The Rising“ reflektierte den Schock und die Verwüstungen nach dem 11. September – so vage und unentschieden, dass sich alle und keiner darin wiederfinden konnten.

Diesmal, in der Anti-Bush-Kampagne, verhält es sich anders. Springsteen äußert sich dezidiert. In Interviews gibt er sich als Gegner des Irak-Kriegs zu erkennen („Ich hatte das starke Gefühl, dass wir in die Irre geführt worden sind“). Mit einem leitartikelähnlichen Beitrag in der gestrigen „New York Times“ hat Springsteen endgültig politisch Stellung bezogen. Es ist äußerst ungewöhnlich und grenzt an eine Sensation, dass ein Rockstar sich auf diesem Weg Gehör verschafft.

„Wer sind wir, wofür stehen wir, warum kämpfen wir“, schreibt Citizen Springsteen: „Diese Fragen stehen im Zentrum dieser Wahl.“ Kerry und Edwards hätten zwar auch nicht für alles eine Antwort, aber, so Springsteen, „sie stellen die richtigen Fragen und sie sind um anständige Lösungen bemüht“. Er befürwortet in dem staatsbürgerlich gehaltenen Text die Invasion Afghanistans und beklagt, wie so viele Amerikaner, die von der Regierung Bush provozierte Spaltung des Landes nach dem 11. September. Steuersenkungen für die Reichen und Superreichen, ein „unnötiger Krieg im Irak“, ein Rekorddefizit wirft er Bush vor – und schließt: „Unsere amerikanische Regierung hat sich zu weit von den amerikanischen Werten entfernt. Es ist Zeit, nach vorn zu schauen. Das Land, das wir in unseren Herzen tragen, wartet.“

Schlagt sie mit ihren eigenen Waffen, die immer auch unsere waren, holen wir uns unser Amerika zurück: Das ist der Kerry-Springsteen-Sound. Vielleicht die einzige Sprache, die auch Republikaner verstehen. Damit ist die Geschichte des Rock um ein Kapitel reicher. Denn so parteilich-eindeutig waren die Protestsänger der Woodstock-Generation nie.

Rüdiger Schaper

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