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Kultur: Der Boykott des Boykotts

Deutschland sagt bei Kubas Buchmesse ab – und Havanna in Frankfurt. Beides schadet Kubas Opposition

Wer die Buchmesse von Havanna nie besucht hat, kann nur schwer ermessen, welch große Bedeutung sie für Kuba hat. Die Menschen sind täglich den ideologischen Bombardierungen einer unterwürfigen Presse ausgesetzt. Die wenigen Bücher, die jedes Jahr erscheinen, werden von einer undurchdringlichen Zensurmaschinerie peinlich genau überprüft. Diese hält das gesamte kulturelle Leben Kubas im Würgegriff.

Ist es da erstaunlich, dass jeden Februar Abertausende Kubaner in die alte Festung von La Cabaña strömen, hungrig auf Informationen und voller Sehnsucht nach einer frischen Brise Literatur aus Übersee? Einige Kubaner gehen zur Messe, um Bücher zu kaufen, andere kommen, um sich welche zu „organisieren“.

Ich selbst habe drei Jahre am deutschen Messestand geholfen und kann verbürgen, dass es eine ganze Reihe kubanischer Schriftsteller gibt, die ihre literarische Ausbildung den „organisierten“ Büchern von Grass, Enzensberger und Bernhard zu verdanken haben. Die Veranstaltung befriedigt also die vielfältigsten Leidenschaften. Der Germanist informiert sich über die neuesten Entwicklungen in der deutschen Literatur, und selbst Jugendliche, die sich für das Schicksal der Dinosaurier interessieren, werden für ihre Geduld und Ausdauer mit einem Band zum Thema belohnt.

Angeblich war für die nächste Buchmesse im Jahr 2004, auf der Deutschland als Ehrengast geladen war, die Veröffentlichung von Werken vorgesehen, die jahrelang in Planung waren: unter anderem ein Roman von Uwe Timm, ein Roman von Hans Christoph Buch, eine Anthologie Deutscher Nachkriegslyrik (die erste, die in Kuba erscheinen würde), eine Anthologie mit den Gedichten Heinrich Heines, außerdem ein Essayband über die Rezeption deutscher Lyrik im Kuba des 19. Jahrhunderts, geschrieben von einem der angesehensten Germanisten der Insel. Es handelt sich um Projekte, die einzig aus Liebe zur Kunst realisiert worden sind. Ihre Urheber hatten keinerlei Unterstützung der offiziellen kubanischen Kulturbürokratie (diese beschäftigt sich ohnehin ausschließlich damit, Intellektuellen und Künstlern möglichst viele Hürden in den Weg zu stellen). Viele der Beteiligten haben auf Honorare verzichtet.

Die jetzt von der deutschen Regierung getroffene Entscheidung, nicht an der Buchmesse in Havanna teilzunehmen, wird höchstwahrscheinlich dazu führen, dass all diese Projekte wieder in den Schubladen verschwinden. Und die Situation hat sich postwendend verschärft durch die Absage Kubas, an der Frankfurter Buchmesse 2003 teilzunehmen. Außerdem ist der Lieblingstraum vieler kubanischer Germanisten mit diesen Entwicklungen erst einmal ausgeträumt: die Gründung eines Goethe-Instituts in Havanna. Die kubanische Führung hatte gegen die Eröffnung ohnedies alle bürokratischen Geschütze in Stellung gebracht. Nun liefert ihr ausgerechnet Berlin die schärfste Waffe. Weder Fidel Castro – das kann ich Ihnen garantieren – wird der Leidtragende dieser Entscheidung sein, noch seine erstarrte Nomenklatur.

Ich kann zwar die Gründe nachvollziehen, die die deutsche Regierung zu der Absage bewogen haben mögen. (Letztendlich war es Fidel Castro, der mehrere Dutzend Oppositionelle ungerechterweise einkerkern ließ.) Doch wie soll ich eine Entscheidung gutheißen, die einzig meine kubanischen und deutschen Kollegen treffen wird? Kollegen, die sich in den letzten Jahren regelrecht aufgeopfert haben, um die kulturellen Bande zwischen Kuba und Deutschland enger zu knüpfen? Die Frage drängt sich auf, ob es in der gegenwärtigen Situation nicht viel wirksamer wäre, wenn deutsche Intellektuelle und Schriftsteller demonstrativ nach Kuba reisten? Wenn sie auf Konferenzen und Lesungen ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrnähmen, ein Recht, das den Kubanern schändlicherweise verwehrt wird?

Vergangenes Jahr hat Jutta Limbach, die Präsidentin des Goethe-Instituts, in einem Interview die Schwierigkeiten im Umgang mit Regimen beschrieben, die die Menschenrechte nicht in der europäischen Tradition als Recht des Individuums verstehen, sondern sie vor allem als kollektives Recht auslegen (wie die kubanische Führung dies zumindest vorgibt zu tun). Trotz der Probleme plädiert Frau Limbach für den Dialog und schlägt vor: „Kollektive Tendenzen waren auch Teil unserer Geschichte. Wir müssen klar machen, dass Individualismus nicht mit radioaktivem Zerfall der Gesellschaft verbunden ist.“

Zugegeben: Für den Dialog sieht es derzeit schlecht aus, Fidel Castro hat ihm durch seine bösartige Rede vom 26. Juli vorerst jede Möglichkeit geraubt. Aber nun hat die Arroganz eines starrsinnigen Diktators ihre beste Verbündete in der Arroganz seiner Gegner gefunden.

Die Geschichte hat gezeigt, dass sich bestimmte Diktaturen weder durch Boykotte noch Embargos beseitigen lassen (manchmal hilft nicht einmal eine Invasion). Boykotte nützen im Gegenteil meist dem Diktator, der den Zorn seines verarmenden Volks geschickt auf die Boykotteure lenken kann. Schröder hat Kuba in diesem Sinne einen Bärendienst erwiesen. Auf lange Sicht wird die Absage der deutschen Regierung zur Isolierung derjenigen beitragen, die es am wenigsten verdient haben.

Der kubanische Autor war viele Jahre als Übersetzer und Kulturvermittler in Havanna tätig und lebt heute in Madrid. Aus dem Spanischen von Philipp Lichterbeck .

José Anibal Campos

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