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Kultur: Der Bunker

Menetekel, Propaganda, Wahrheit? Was von den Kriegsbildern übrig bleibt

Schwarze Flecken auf milchig-weißem, grauem Grund. Beton. Eisige Stille, durchschnitten von einer metallenen weiblichen Stimme. Die Frau trägt Kopftuch und eine militärisch anmutende Kluft. Mit einem Laserpointer umfährt sie Umrisse auf der Wand. Sie spricht Englisch, und man spürt, dass sie diese Sätze schon ungezählte Male über ihre tiefrot geschminkten Lippen gebracht hat. Der Lichtpunkt tanzt um eine Stelle, die etwas unterhalb der Augenhöhe des Betrachters liegt: Hier, sagt die Frau, sehen Sie den Kopf einer Mutter, die ihr Kind im Arm hält. Je länger man auf die schwarzen Linien starrt, je deutlicher scheint das Bild einer eingebrannten Pietà hervorzutreten, das die Führerin beschwört.

Über 400 Frauen und Kinder verglühten am frühen Morgen des 14. Februar 1991, als der Al-Amariya-Bunker in Bagdad von zwei Bomben getroffen wurde. Die erste Bombe schlug ein Loch in die zwei Meter dicke Betondecke, der zweite Einschlag entfachte kurz darauf einen Feuersturm in der Zivilschutzanlage, die sich einige Kilometer vom Zentrum der irakischen Hauptstadt in einer Wohngegend befindet. Die Gedenkstätte von Al-Amariya gehörte vor dem Irak–Krieg zum Pflichtprogramm ausländischer Besucher. Christliche und humanitäre Gruppen waren hier, auch amerikanische und britische Veteranen der Operation „Wüstensturm“.

In der Mitte des oberirdischen Bunkers hängen Betonbrocken und Strahlträger in der Luft. Das Einschlagsloch wurde konserviert. An den Wänden erkennt man im Halbdunkel die gerahmten Porträts der Opfer: Kinderaugen. Am Boden Gebinde aus Plastikblumen. Al-Amariya wurde zum vielschichtigen Symbol des „modernen“ Kriegs. Wer diese Führung mitgemacht hat, beginnt zu begreifen, dass die Begriffe „Kollateralschaden“ und „intelligente Bomben“ oder „Präzisionsschläge“ ein und dasselbe bezeichnen. Es ist ein würgendes Erlebnis, das Ohnmachtsgefühl ist überwältigend und zwiefach – weil das Kriegsverbrechen an Zivilisten ebenso manifest wird wie die irakische Propaganda.

Wie will man das trennen – das Massensterben im Bunker, den Schmerz der Angehörigen und das aggressive Märtyrer-Pathos, das Saddams Regime um diesen Ort des Schreckens rankt? Darf man ein Wort wie kitschig hier überhaupt aussprechen? Wurden diese Kinder und Frauen ausgelöscht, weil dieser Bunker vielleicht auch eine Falle war, in die die irakischen Behörden sie gelockt haben? Sind es Schuldgefühle, die bei Besuchern aus dem Westen eine innere Barriere gegen diese Installation des realen Horrors aufbauen?

Das Menetekel menschlicher Schmauchspuren auf der Wand evoziert, man mag sich noch so sehr dagegen wehren, Bilder, wie sie in unseren Museen hängen: Gemälde des abstrakten Expressionismus, einer amerikanischen Kunstrichtung, in der die Schreckenswelt, die Angstträume des Zweiten Weltkriegs, des Kalten Kriegs und der McCarthy-Zeit sich niederschlugen. Aber auch eine heftige Sehnsucht nach Transzendenz. Man betrachtet diese Wand, bis die Augen schmerzen – als blicke man gegen eine Wand, die eine unerreichbare Wahrheit verbirgt.

Nicht anders – und ebenso quälend – jetzt wieder die Fernsehbilder: der blaugrüne Nachthimmel über Bagdad, in dem Blitze explodieren wie Halluzinationen. Bilder vom Krieg, in dem wie im Islam, im Judentum und im frühen byzantinischen Christentum ein Bilderverbot herrscht. Man sieht nur Vexierbilder, die genau das erzählen, was man in sie hineinprojiziert: Bilder von einem coolen Krieg, in dem es keine zivilen Opfer zu geben scheint, weil keine Seite Interesse hat, sie zu zeigen.

Die Erinnerung an den Besuch im Bunker von Al-Amariya vor einem Jahr wirft aber auch noch eine andere Frage auf. Was bedeutet es, wenn man die Endlosschleifen der immer gleichen kosmetischen Filmeinspielungen und das Fehlen anderer Bilder beklagt? Will man wirklich das sehen, was aus militärisch-propagandistischen Gründen nicht gezeigt wird – letzten Endes den Tod auf dem Schlachtfeld, in Städten und Privathäusern live, so wie man in den USA reale Polizeieinsätze mit Autoverfolgungsjagden und Schießereien in Echtzeit einschalten kann? Die Frage, ob die Fantasie oder die Realität schrecklicher ist, bleibt Nacht für Nacht vor dem TV-Bildschirm offen. Vielleicht offenbart eine rußige Betonwand ja mehr Wahrheit über den Krieg als ein Dutzend Steadycams.

Beim Verlassen der Totenstätte von Al-Amariya, am Ende der Führung durch dies höllische Heiligtum, schrie die Frau die Besucher an: Now tell me, who is the aggressor? Es mag zum einstudierten Ritual gehört haben oder eine spontane Äußerung gewesen sein. Macht das für die Toten, für die Lebenden einen Unterschied?

Rüdiger Schaper

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