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Kultur: Der dritte Weg

Dem Jazz-Musiker Gunther Schuller zum 80.

„The Visitation“ hieß eine Oper, die 1966 in Hamburg uraufgeführt wurde. Nach Motiven aus Kafkas „Der Prozess“ hatte der New Yorker Komponist und Dirigent Gunther Schuller, der 1965 als Artist in Residence in Berlin lebte, das Libretto und die Musik geschrieben, ein kompliziertes, avantgardistisches Werk mit erstmals zwei Musiker-Ensembles im Orchestergraben vor der Bühne: Klassik und Jazz. Dieses gleichberechtigte Nebeneinander hatte es vorher nicht gegeben. Die Oper war in Hamburg eine Sensation und sollte danach in New York gespielt werden, für die Aufnahme hatte Decca zugesagt. Doch die Metropolitan-Premiere scheiterte, die Kritiker zerrissen das Werk und Decca zog sich zurück. Das historische Ereignis blieb undokumentiert, ein Schlüsselereignis für das Lebenswerk von Gunther Schuller.

Der Musiker, der heute 80 Jahre alt wird, besetzte einen musikalischen Ort, der bald „Third Stream“ genannt wurde, weil mit Jazz und Klassik zwei große Kulturströme zusammenflossen. Den Begriff hatte er erstmals 1957 in einem Vortrag verwendet für eine Synthese, in der sich Instrumentierung, Form und Kompositionstechnik der Klassik und Sprache, Gestik, Improvisation und Rhythmik des Jazz verbinden. Ihm schwebte ein Idealbild des Musikers als total musician vor. Durch seine Zusammenarbeit mit Künstlern wie Ornette Coleman, Cecil Taylor, Jim Pepper und Charles Mingus strebte er nach einer künstlerischen Anerkennung, die den Jazz aus der Rolle als Unterhaltungsmusik herausheben sollte. So entstanden Werke wie Colemans „Skies of America“ oder „Epitaph“ von Mingus.

Schuller wurde 1925 als Sohn deutscher Immigranten in New York geboren. Sein Vater spielte Geige bei den New Yorker Philharmonikern, Schuller selbst wurde klassischer Hornist. Nach Stationen beim Cincinnati Symphony Orchestra und an der New Yorker Met stieg er Ende der Fünfziger aus, um zu schreiben, zu unterrichten und zu komponieren. Seine Vorliebe für Schönberg und Stravinsky, die Bilder von Piet Mondrian und Paul Klee war nicht zu verkennen, waren diese Künstler doch vom Jazz ebenso inspiriert wie er selbst.

Die Vision eines „Third Stream“ verfing sich bald in ihren theoretischen Vorgaben und wurde eigentlich nur von Schuller selbst umgesetzt. So bleibt sein wichtigstes Verdienst, Jazz aus dem Mief des Bar-Getümmels herausgeholt und für die Tempel der Hochkultur salonfähig gemacht zu haben.

Maxi Sickert

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