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Kultur: Der eklektische Reiter

Daniel Richter erschafft eine neue Malerei aus dem Geist der Psychedelik und des Videoclips

Wahrscheinlich musste die Malerei tatsächlich erst für tot erklärt werden, bevor solche Bilder entstehen konnten. Bilder, die noch einmal alles aufrollen, was es bisher überhaupt je an Bildern gegeben hat – und das ist nicht nur auf die Kunstgeschichte beschränkt. Daniel Richter, 1962 geboren, Wohnsitz Hamburg und Berlin, lässt nichts aus: nicht die Werbung, nicht das Kino, nicht die Fotografie, nicht die Video-Clips der Popmusik und natürlich auch den Journalismus nicht. Dies Konglomerat an visuellen Informationen hat Richter in sein Gedächtnis aufgenommen, dort mit seinen inneren Visionen addiert und diese Summe immer wieder auf Papier und Leinwand gebracht.

Wie das im einzelnen ausschaut, kann man derzeit in Richters Ausstellung „Hirn“ im Neuen Berliner Kunstverein besichtigen, in denkbar kleinteiliger Form. Gezeigt wird nicht nur eine Auswahl jener Gemälde, die den Maler seit einigen Jahren zu einem der gefragtesten Künstler seiner Generation gemacht haben, sondern vor allem eine Zusammenstellung seiner Zeichnungen, knapp neunzig an der Zahl.

Dabei handelt es sich freilich überwiegend selbst um kleine Gemälde, ausgeführt mit Pinsel und deckenden Gouachefarben und frisch aus dem Atelier. Auf dem Blatt „Zwei Reiter, ein Mädchen mit Vogel“ zum Beispiel sieht man Männer auf weißen Pferden, die von einem Mädchen betrachtet werden, welches einen blaugefiederten Falken auf dem Arm trägt. Die Szenerie ist düster, perspektivisch ungenau, der Pinselstrich fahrig. Im Vordergrund erkennt man einen roten Stern, dann wird es dunkelgrün und schwarzbraun, ein paar kahle Bäume stehen herum, der Himmel ist giftig violett. Einer der Reiter stammt offenbar aus der Zeit des Ersten Weltkrieges, der andere mit dem Cowboy-Outfit und der amerikanischen Flagge am Sattel erinnert an Robert Redford in „Der elektrische Reiter“.

Ähnlich grotesk zerstückelt ist das Figurenrepertoire auf den übrigen Zeichnungen Richters. Mal sind es Reminiszenzen an Edvard Munch und James Ensor, ein andermal winken rosa berüschte Revue-Tänzerinnen dem Betrachter zu, oder es fallen Gestalten vom Himmel wie bei einem barocken Höllensturz respektive dem Attentat vom 11. September in New York. In diesen irrwitzigen Kombinationen sind Richters Gouachen von den abtrakt-psychedelischen Gemälden der Anfänge gar nicht so weit entfernt, wie es auf den ersten Blick scheint.

Oder von all den Bildern, die Richter seitdem gemalt hat: von all den seltsamen Arrangements in grellen Farben, den großen Leinwänden mit Titeln wie „Warum ich kein Konservativer bin“ aus dem Jahr 2000, „Zur Einheit durch den Wald“ von 2001 oder „Die wieder da sind“ aus dem letzten Jahr. Immer konfrontiert Richter einen mit Bilderrätseln, die bei längerem Hinsehen in ihren Einzelteilen durchaus zu entschlüsseln sind, in ihrer Ganzheit jedoch unzugänglich wirken.

Diese Methode hat nichts zu tun mit postmoderner Beliebigkeit, darüber ist der 40-jährige Richter längst hinaus. Je eingehender man sich mit seinen Bildern beschäftigt, desto klarer wird, dass es sich dabei eben doch um Simulationen der Wirklichkeit dreht. Denn Richters Werke mögen absurd erscheinen. Aber die Welt, in der wir leben, ist im Vergleich noch viel absurder.

NBK, Chausseestraße 128/129, Di bis Fr 12-18 Uhr, Sa und So 14-18 Uhr, bis 22. Juni. In der Reihe „Treffpunkt NBK“ findet am 14. Mai um 19 Uhr ein Künstlergespräch mit Daniel Richter statt.

Ulrich Clewing

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