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Kultur: Der falsche Feminist

Fraugottnochmal: Poet Paul Wühr wird 80

Als Münchner Volksschullehrer sollte er die Rotznasen einst Rechtschreibung lehren. Aber in jeder rechten Lehre war der Münchner und Weltbayer Paul Wühr von früh an ein Ketzer. So ist er als Dichter, der nun seit vielen Jahren mit Muse und Katze auf einem mittelitalienischen Dichterberg haust und dort literarischen Hof hält, ein Gegenlehrer geworden. Schon sein erster aufsehenerregender Roman war vor fast 40 Jahren als Mischung aus Prosa, Poem und Drama eigentlich ein ungeheurer Anti(heimat)roman und hieß schlichtweg „Gegenmünchen“.

Doch auch ein Gegenlehrer möchte natürlich auf irgendeine Weise verkehrtrum recht haben. Wührs verstorbener Freund Ernst Jandl tauschte dafür einfach rinks und lechts – und dieses Spiel hat Paul Wühr viel radikaler weitergetrieben. Sein vom Gedicht und Hörspiel bis zu bewusst uferlosen, sprach- und gedankenozeanischen Monsterbüchern reichendes Werk beschwört die Idee des „Falschen“. Eines Falschen freilich, das sich in seiner freien Gedankenform auch der eigenen richtigen Zuschreibung entziehen möchte.

Solche Paradoxa hat Wühr, dem unter den deutschen Literaturpreisen nur der Büchner’sche fehlt, immer auf die Spitze getrieben. Am schönsten in seinen aberwitzig abersinnigen, trauerfröhlichen Gedichten, aber auch im riesigen, poetisch-philosophischen Entwurf „Das falsche Buch“. All das ist zumeist im Münchner Hanser Verlag erschienen, dessen selber dichtender Chef und Lektor Michael Krüger den Wührpaul einen „sanften Liebhaber der Apokalypse“ genannt hat. Tatsächlich gleicht der funkeläugige, den kahlen Rundschädel mit mächtigem Bart umrahmende Autor bisweilen einem bayerischen Jupiter. Einem mal wütenden, mal liebenden Gott, der nicht nur keine anderen Götter neben sich duldet. Vielmehr ist Gott für den anarchischen Apostel des Falschen selber ein Falscher: sozusagen ein richtiger Teufel, dem man den Kern und Kerl noch austreiben muss.

Das einzig richtige Leben im falschen liegt für Wühr allerdings in der sinnlichen Liebe, sprich in der richtig falschen Frau. Deshalb heißt sein bei Hanser soeben erschienener neuer Gedichtband schon im Titel „Dame Gott“ (332 Seiten, 27, 90 €), was, um Herrgotts willen, der Genesis die letzte Adamsrippe bricht und das Loch in der Schöpfung feiert: „... daß die Liebe zum weiblichen / Gott nicht ganz // rein brennt etwa Ruß / sind wir Schlote // muß der Mann aus uns / erst gefegt werden.“ Bei Wühr, der heute 80 wird, gerät das Bild zum leiblichen Gedanken. So gratuliert die Dame Literatur dem famosen falschen Feministen. Peter von Becker

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